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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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eine Offenbarung des Herzens. Jesus lebte in ihr als innerer
Freund
, dem sie mit einer erotisch getönten Liebe verbunden war.
Ich erinnere mich kaum eines Gebotes
, heißt es in den »Bekenntnissen einer schönen Seele«,
nichts erscheint mir in Gestalt eines Gesetzes, es ist ein Trieb der mich leitet und mich immer recht führet; ich folge mit Freiheit meinen Gesinnungen, und weiß so wenig von Einschränkung als von Reue.
    In Susanna von Klettenberg fand Goethe eine anmutige Frömmigkeit ohne Bigotterie, frei aus sich selbst gelebt, ohne den beklemmenden Dualismus zwischen Gefühl und moralischer Vernunft, unmittelbarer Erfahrung und dogmatischen Grundsätzen. Die Klettenberg glaubte nicht an eine äußere göttliche Realität, sondern sie glaubte an ihr Selbst, das in der Einigung mit Jesus zu einem besseren Selbst wird, sich steigert und dabei Spontaneität, Lebenslust und Ausdrucksmöglichkeiten gewinnt. Schön ist diese Seele, weil sie durch nichts gezwungen wird und weil sie sich selbst auch nicht zu zwingen braucht. Das Moralische erscheint bei ihr anmutig.
    Für die schöne Seele spielt, anders als für die Herrnhuter sonst, »Kreutz, Tod und Gruft« (Nietzsche) nur eine geringe Rolle. Sie bezeichnet sich deshalb auch als
eine herrnhutische Schwester auf meine eigene Hand
. Gewiß glaubte sie an Christi Opfertod am Kreuz, aber:
Was ist denn Glauben?
fragt sie und antwortet:
Die Erzählung einer Begebenheit für wahr zu halten, was kann mir das helfen? ich muß mir ihre Wirkungen, ihre Folgen zueignen können
. Sie spricht von jenem
Zug
, wodurch ihre Seele
zu einem abwesenden Geliebten geführt wird
. Sie spürt geradezu leiblich eine befreiende Wirkung, und das wird ihr zur Wahrheit, die erst danach in die Form von Glaubenssätzen gegossen werden kann. Wenn man aber nichts gespürt hat, soll man nicht um die Wahrheit von Sätzen streiten, und seien es die heiligen Sätze der Evangelien. Bei solchen dogmatischen Streitereien können auch die Frommen in
Ungerechtigkeit
geraten, die,
um eine äußere Form zu verteidigen, ihr bestes Innerstes beinah zerstörten
.
    Fast zu häufig ist bei der Klettenberg von der
Heiterkeit
die Rede, mit der sie, trotz Krankheit, ihr Leben führt und ihren Glauben lebt. Im Roman ist es Wilhelm, der diese Heiterkeit verknüpft sieht mit der
Reinlichkeit
ihres Daseins.
Was mir am meisten aus dieser Schrift entgegen leuchtete, war, ich möchte so sagen, die Reinlichkeit des Daseins, nicht allein ihrer selbst, sondern auch alles dessen, was sie umgab. Diese Selbstständigkeit ihrer Natur und die Unmöglichkeit, etwas in sich aufzunehmen, was mit der edlen, liebevollen Stimmung nicht harmonisch war.
    Im Rückblick fragt sich Goethe, was die Klettenberg denn ihrerseits an ihm so anziehend gefunden habe.
Sie erfreute sich an dem, was mir die Natur gegeben, so wie an manchem, was ich mir erworben hatte.
Seine Unruhe, Ungeduld, sein Streben und Suchen stießen sie nicht ab, sondern sie deutete es als Ausdruck der Tatsache, daß er noch keinen
versöhnten Gott
habe. Den mußte er eben noch finden. Wichtig war für sie, daß man in Übereinstimmung mit sich blieb. Schon gar nicht wollte sie, daß man etwas ihr zuliebe tat. An dem jungen Goethe spürte und schätzte sie diesen beherzten Eigenwillen. Sie wollte ihn nicht bekehren. Der Glaube sollte aus ihm selbst kommen. Wenn er sich ihr gegenüber gelegentlich
als einen Heiden
gab, war ihr das lieber
als früher, da ich mich der christlichen Terminologie bedient, deren Anwendung mir nie recht habe glücken wollen
.
    Goethe fehlte das zerknirschte Sündenbewußtsein – und das hielt ihn auf Abstand, nicht zur Klettenberg, aber zu den Herrnhutern. Er bekannte sich zum
Pelagianismus
, der in der christlichen Dogmengeschichte für die wohlwollende Beurteilung der menschlichen Natur steht und sie nicht als im Kern verderbt und sündig ansieht. Das war nach dem Geschmack Goethes, für den die Natur, die äußere und die innere, in ihrer
Herrlichkeit
keine Last sondern eine Lust war. Er wisse nicht, wofür er Gott um Verzeihung bitten sollte, sagte er einmal zur Klettenberg, er sei sich keiner willentlichen Schuld bewußt und was nicht aus seinem Willen käme, dafür fühle er sich auch nicht verantwortlich.
    Goethe konnte sich der Klettenberg gegenüber manches erlauben, sie nahm ihn trotzdem in ihre Obhut. Sie verstand etwas von seiner Krankheit, denn sie hatte selbst an tuberkulösem Lungenbluten gelitten. Ihre zeitweilige Genesung verdankte

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