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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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kirchlich-religiöse Mensch, heißt es dort,
muß gewohnt sein, die innere Religion des Herzens und die der äußeren Kirche als vollkommen Eins anzusehen, als das große allgemeine Sakrament, das sich wieder in soviel andere zergliedert und diesen Teilen seine Heiligkeit, Unzerstörlichkeit und Ewigkeit mitteilt.
Und weiter:
Und so ist durch einen glänzenden Zirkel gleichwürdig heiliger Handlungen
〈...〉
Wiege und Grab, sie mögen zufällig noch so weit aus einander gerückt liegen, in einem stetigen Kreis verbunden.
    Ein solches Leben kann er sich gut vorstellen, aber er lebt es nicht. Er habe, schreibt er, schon früh damit begonnen, sich seine
eigene Religion
zu bilden, fern von der Kirche und ihrem sakramental geordneten Leben. Er wird seinem Leben dann allerdings selbst eine quasi sakramentale Ordnung geben. Er machte aus den alltäglichen Verrichtungen Rituale und schätzte das zeremonielle Auftreten und Verhalten. Wittgenstein nannte Kultur einmal eine Art »Ordensregel«. Für Goethe jedenfalls war sie das, je älter er wurde um so mehr.
    Im Protestantismus hatte Goethe kein Unterkommen gefunden. Man habe versucht, so sieht er es im Rückblick, ihn mit der Sündenangst zu binden. Das gelang eine Weile.
Düstre Skrupel
quälten ihn. In der Leipziger Zeit riß er sich davon los. In
heiteren Stunden
schämte er sich sogar, von solchen Skrupeln befallen gewesen zu sein, so fern lagen sie ihm jetzt. Die
seltsame Gewissensangst mit Kirche und Altar
hatte er hinter sich gelassen.
    Der Versuch mit der Frömmigkeit hatte tatsächlich wenig mit Kirche und Altar zu tun. Es waren Liebesgefühle und nicht etwa Seelenzerknirschung, die ihm die herrnhuterische und pietistische Geisteswelt eine Zeit lang anziehend erscheinen ließ.
    Ein Mentor in dieser Lebensphase war für kurze Zeit Ernst Theodor Langer, der Freund während der letzten Leipziger Monate. Langer, der selbst nicht zu den Herrnhutern gehörte, hatte herrnhuterische Freunde in Frankfurt, die den jungen Goethe in die Brüdergemeine zu ziehen versuchten. Langer selbst hatte auf ausgedehnten Spaziergängen dem jungen Goethe das Evangelium mit solchem Enthusiasmus erläutert, daß dieser dafür manche Stunde aufopferte, die er eigentlich mit seiner Geliebten verbringen wollte.
Ich erwiderte seine Neigung auf das dankbarste
, schreibt Goethe und bekennt, daß er sich unter dem Einfluß Langers schließlich bereit fand,
das was ich menschlicher Weise zeither geschätzt, nunmehr für göttlich zu erklären
. Diese Bemerkung bezieht sich auf das Christusbild der Evangelien. Bisher war ihm Jesus als Weisheitslehrer erschienen, jetzt versucht er den menschgewordenen Gott als Verkörperung einer Offenbarung anzunehmen. Eine Offenbarung, die, wie bei den Pietisten üblich, direkt zum Herzen sprechen sollte, die also mehr empfunden als begriffen sein wollte.
    Die gesellschaftliche Sphäre solcher Herzensfrömmigkeit zog Goethe eine Weile lang an. Weil auch die Mutter sich zur Zeit den Herrnhutern annäherte, werden, auf ihren Wunsch und vom Vater zögernd geduldet, Zusammenkünfte im Haus am Hirschgraben abgehalten. In den Briefen an Langer vermerkt Goethe erleichtert, daß die hiesigen Herrnhuter in
Punkto der Kleidung
nicht so streng seien, und: er
gehe in die Versammlungen, und finde wirklich Geschmack daran.
Es bleibe ihm aber nicht verborgen, daß man ihn nur mit Vorsicht zuläßt, wie Abbadonna, den gefallenen Engel. Mit Recht sei man mißtrauisch. Denn obgleich er sich redlich bemühe, der Religion mit
Liebe
begegne, dem Evangelium mit
Freundschaft
und dem heiligen Wort mit
Verehrung
, so sei er doch noch
kein Christ
. Aber vielleicht könne er es noch werden.
    Im Brief an Langer analysiert Goethe die Hindernisse aus pietistischer Perspektive. Man muß sich, so die pietistische Anweisung, von Selbstliebe frei machen, denn sie behindert den Einfluß Gottes auf die Seele. Genau diese
Eigenliebe
aber, schreibt er, sei sein Problem, sie sei noch zu
mächtig
in ihm. Er könne nicht auf die Eigenliebe verzichten, weil sie zu seiner eigentlichen Leidenschaft gehört, und die richtet sich mehr auf seine Autorschaft denn auf Gott. Der entscheidende Satz dieser Selbstanalyse lautet:
Mein feuriger Kopf, mein Witz, meine Bemühung und ziemlich gegründete Hoffnung, mit der Zeit ein guter Autor zu werden, sind jetzt, daß ich aufrichtig rede, die wichtigsten Hindernisse an meiner gänzlichen Sinnesänderung.
Die rege Auffassungsgabe und Erfindungslust macht ihn bei den

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