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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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wünscht der Autor, sollte auch des
irren Wanderers
gedacht werden:
und eine Träne quillt / vorbeigequollnen Freuden nach, / hebst dann zum Himmel / dein bittend Aug’, / erblickest über dir / da meinen Namen.
    Herder fand das Gedicht nicht amüsant und war vollends verärgert, als er hörte, daß Karoline nach Goethes Abreise wirklich zu jenem Felsen hinausgepilgert war. Er verfaßte eine Parodie auf die Goethesche Felsweihe und schrieb ärgerlich an Karoline, »Sie machen auf mehr als eine Art eine zu traurige Figur« in Goethes Gedicht. Als Goethe von Herders Parodie erfuhr, schrieb er ihm erbost:
So will ich Euch auch sagen, daß ich letzt über Eure Antwort auf die »Felsweihe« aufgebracht worden bin, und hab’ Euch einen intoleranten Pfaffen gescholten
〈...〉
Was den Punkt betrifft, soll Euch künftig in dem Recht, Euerm Mädchen melancholische Stunden zu machen, kein Eingriff geschehn
.
    Das Verhältnis zwischen Goethe und Herder kühlte sich ab. Erst zwei Jahre später besserte es sich wieder.
    Bei den Empfindsamen nannte man Goethe gerne den »Wanderer«. Und wirklich kam er von Frankfurt her nach Darmstadt häufig zu Fuß, bei Wind und Wetter. Bei einem dieser Fußmärsche entstand die Hymne »Wanderers Sturmlied«, ein kühnes, formauflösendes Gedicht.
Ich sang diesen Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin, da mich ein schreckliches Wetter unterweges traf, dem ich entgegen gehn mußte.
    Wenn man dieses Gedicht – das Goethe zwar unter Freunden zirkulieren ließ, doch erst spät (1815) veröffentlichte – mit den lyrischen Tändeleien bei den Empfindsamen vergleicht, läßt sich der Abstand zum zierlichen, amourösen Rokoko ermessen. In »Wanderers Sturmlied« geht es auf kunstvolle Weise chaotisch und wild zu. Das Gedicht ist mit seinem energischen Trotz bereits auf den »Prometheus«-Ton gestimmt:
Wen du nicht verlässest Genius / Nicht der Regen nicht der Sturm / Haucht ihm Schauer übers Herz / Wen du nicht verlässest Genius, / Wird der Regen Wolke / Wird dem Schloßensturm / Entgegensingen wie die / Lerche du dadroben, / Wen du nicht verlässest Genius.
    Dieses
Wen du nicht verlässest Genius
wird einige Male beschwörend wiederholt, als Feststellung, Bitte, Wunsch, Forderung. Wer ist der
Genius
? Aufgeboten wird ein griechischer Götterhimmel: Phöbus Apoll, der Gott der Sonne, der Wärme und des Gesangs; dann Vater Bromius, der Name für Dionysos, der Gott des Weines, der Fruchtbarkeit und des Rausches; und schließlich Jupiter, also Zeus der Götterfürst. Diese ins Gedicht verwobenen Anrufe und Herausforderungen sind Pindar abgelauscht, den Goethe durch Herder entdeckt hatte und den er zu übersetzen versuchte.
Ich wohne jetzt in Pindar,
schreibt er im Juli 1772 an Herder.
Wenn er die Pfeile ein-übern andern nach dem Wolkenziel schießt, steh’ ich freilich noch da und gaffe.
Nun aber
gafft
er nicht mehr, jetzt schießt er selber in die Wolken nach den Göttern. Aber die Pindarschen Götter können ihm nur helfen, wenn er sich selbst hilft, sich selbst vertraut. Der
Genius
, den er anruft, ist letztlich doch der eigene. Was auch die Götter ihm bestimmt haben mögen, er läßt sich nicht abbringen von seinem Ziel:
Dort auf dem Hügel – / Himmlische Macht – / Nur soviel Glut – / Dort ist meine Hütte – / Zu waten bis dort hin.
    Das sind die letzten Verse, bei denen man im Kontrast zu den weit ausschwingenden Versen des Anfangs den stoßweisen Atem spürt. Da ist wirklich einer außer Atem gekommen. Man darf nicht vergessen: das Gedicht ist, wenn wir Goethe Glauben schenken, wirklich bei der Wanderung entstanden. Das
waten
am Ende hört sich unheroisch an, eine Ironie zu den pathetischen Sprachgebärden des Anfangs. Es macht sich Erschöpfung nach großer Anstrengung bemerkbar: es ist der zurückgelegte Weg und die Kühnheit, sich mit Pindar messen zu wollen. Der Rhythmus des Gedichtes ist dem stoßartigen Wechsel der Anspannungen beim Ankämpfen gegen Wind und Wetter nachgebildet. Des Anakreon wird mit Verachtung gedacht, denn dieser Wanderer
mit dem Tauben Paar / In dem zärtlichen Arm
hat mit Gewaltigerem gerungen, mit der
Sturmatmenden Gottheit
.
    So also, vom Regen durchnäßt und vom Winde zerzaust, wird Goethe nach seinen Fußmärschen von Frankfurt her bisweilen bei den Anakreontikern in Darmstadt angekommen sein, oder beim Rückweg dann in Frankfurt, in einem der Gasthöfe in der Fahrgasse, wo er häufig verkehrte.
    Dieser Wanderer Goethe ist in Frankfurt inzwischen

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