Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
zum Rezensenten geworden. Er, der später schrieb:
Schlagt ihn tot, den Hund. Es ist ein Rezensent
, war zuerst selber einer. Merck hatte ihn, wie bereits erwähnt, für die »Frankfurter Gelehrten Anzeigen« gewonnen. Unter der neuen Schriftleitung hatte sich das Blatt gewandelt, nicht mehr lehrhafte Philosophie und langweilige moralische Kommentare, sondern zupackende, respektlose Kritik war erwünscht. Die Meinungsäußerungen durften, dem veränderten Zeitgeist entsprechend, persönlich gefärbt sein.
Witz statt Pedanterie – das war nach Goethes Geschmack. Bereits seine erste Rezension, es handelte sich um den Verriß einer deutschen Nachahmung von Laurence Sternes »Empfindsamer Reise«, schlägt einen für das bisherige Rezensionswesen ungewöhnlichen Ton an.
Wir als Polizeibediente des Literaturgerichts
〈...〉
lassen den Herrn Präzeptor
〈den Autor〉
noch eine Weile beim Leben. Aber, ins neue Arbeitshaus muß er, wo alle unnütze und schwatzende Schriftsteller Morgenländische Radices raspeln, Varianten auslesen, Urkunden schaben, tironische Noten sortieren, Register zuschneiden und andre dergleichen nützliche Handarbeiten mehr tun.
Das Trauerspiel eines gewissen Pfeufer wird in einem einzigen Satz abgefertigt:
Her
r Benignus Pfeufer
mag sonst ein braver Mann sein; aber seinen Namen hat er durch dieses leidige Spiel ein vor allemal prostituiert.
Ein dickleibiges Werk über die »Moralische Schönheit und Philosophie des Lebens« langweilt den Rezensenten und er nennt es ein
armseliges Gewäsch
.
Den Rezensionen merkt man an, daß sie leichthin und schnell zu Papier gebracht sind – manchmal auch ohne Kenntnis des kritisierten Buches, ein Blick in die Einleitung hatte dem Rezensenten genügt. Manchmal aber fühlte er sich zur gründlichen Auseinandersetzung herausgefordert, beispielsweise bei Johann Georg Sulzers damals sehr einflußreicher Ästhetik, die unter dem Titel »Die schönen Künste in ihrem Ursprung, ihrer wahren Natur und besten Anwendung« erschienen war. In Auseinandersetzung mit Sulzer versucht der junge Goethe Klarheit über die eigene Ästhetik zu gewinnen.
Für eine verbindliche Theorie der schönen Künste, heißt es in der Rezension, sei es noch zu früh, es befände sich noch alles in Gärung, und außerdem möge der Künstler und Liebhaber der Künste bedenken,
daß er sich durch alle Theorie den Weg zum wahren Genusse versperrt
. Vor allem gegen einen gängigen und eben auch von Sulzer entwickelten Grundsatz kämpft der Rezensent an. Es ist der von der Kunst als
Nachahmung der Natur
.
Was die These der Naturnachahmung betrifft, so erklärt Goethe selbstbewußt, daß die Kunst mit ihren Gebilden eine neue Natur schafft, eine künstliche, unvergleichliche, originelle, überraschende. Sie braucht sich nicht messen zu lassen an dem, was es schon gibt, sondern sie sollte nach ihrer eigenen, inneren Wahrheit beurteilt werden. Goethe setzt also gegen das Prinzip der Nachahmung das Prinzip des schöpferischen Ausdrucks.
Da aber das Prinzip der Nachahmung sich nicht nur auf die gegenständliche Natur bezieht, sondern auch auf die tradierten Muster der Darstellung, die es ebenfalls nachzuahmen gelte, so bedeutet die Kritik der Nachahmung ebenfalls etwas Doppeltes: Kunst soll vom platten Realismus ebenso befreit werden wie von den konventionellen Formen. Mit seinem »Götz« hatte Goethe das versucht und auch mit seinen Natur- und Liebesgedichten.
Wer die Kunst an die Nachahmung der Natur bindet, setzt die Güte und Schönheit der Natur voraus, behauptet Goethe und zitiert Sulzer, der von der Natur sagt, daß sie uns »durch angenehme Eindrücke« berührt. Dagegen nun Goethe:
Sind die wütenden Stürme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut, und Tod in allen Elementen nicht eben so
wahre Zeugen ihres ewigen Lebens, als die herrlich aufgehende Sonne über volle Weinberge und duftende Orangenhaine.
Goethe bestreitet ganz einfach, daß die Schönheit eine Eigenschaft der Natur sei, die man nur noch nachzuahmen braucht. Im Schwunge der polemischen Absetzung gerät Goethe in die extreme Gegenposition: Die Schönheit ist einer grausamen Natur geradezu abgetrotzt. Die schöne Kunst folgt gerade nicht dem
Beispiel der Natur
, sondern widersteht ihr. In diesem Zusammenhang formuliert der junge Goethe einen unerhört neuen Gedanken:
Und die
Kunst
ist gerade das Widerspiel, sie entspringt aus den Bemühungen des Individuums, sich gegen die zerstörende Kraft des Ganzen zu
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