Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
Vom Netzwerk:
Menschen zu finden, in dessen Umgang sich Gefühle entwickeln und Gedanken bestimmen
. Merck ist nicht weniger erfreut über die neue Bekanntschaft. »Das ist ein Mensch für mein Herz, wie ich noch sehr selten einen gefunden habe«, er fange an, in ihn »verliebt« zu werden, schreibt er an seine Frau.
    Schon bei der ersten Begegnung hatte Goethe dem neuen Freund das soeben fertiggestellte Manuskript des »Götz« überlassen. Merck hatte darum gebeten, denn er spürte bei Goethe »Enthusiasmus und Genie«, was ihn neugierig auf dies Werk machte.
    Merck war acht Jahre älter als Goethe. Er stammte aus Darmstadt und lebte auch dort, hoch angesehen am kleinen Hof des Landgrafen von Hessen-Darmstadt. Kriegszahlmeister war die offizielle Bezeichnung des Amtes, das er versah, in Wirklichkeit aber war er eine Art Finanzminister des kleinen Ländchens. Er hatte Einfluß auf die Regierungsgeschäfte. Er beriet den Hof beim Kauf von Kunstwerken. Er soll, wie man damals vermutete, dabei auch mitverdient haben. Mit seinen Kenntnissen und persönlichen Verbindungen war er Mittelpunkt der gebildeten Gesellschaft am Ort. Man schätzte ihn, aber man fürchtete auch diesen hoch aufgeschossenen, hageren, spitznasigen Mann, denn er war berüchtigt für seine Scharfzüngigkeit, den Spott, den Sarkasmus und die schroffen Urteile. Für Goethe hatte sein Blick etwas
Tigerartiges
und er spricht in der Rückschau von dem
Mißverhältnis
in Mercks Charakter:
von Natur ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die Welt erbittert, und ließ diesen grillenkranken Zug dergestalt in sich walten, daß er eine unüberwindliche Neigung fühlte, vorsätzlich ein Schalk, ja ein Schelm zu sein.
    Goethe gab viel auf Mercks Urteile, weil er merkte, daß sie ohne Schmeichelei waren. Man mußte bei ihm sogar stets auf Bosheiten gefaßt sein, oft ging er
verneinend und zerstörend zu Werke
. Doch wenn man sich darauf eingestellt hatte, konnte man aus seinen Urteilen und Ratschlägen Nutzen ziehen. Einige Jahre später notierte Goethe im Tagebuch, Merck sei für ihn ein
wunderbarer Spiegel,
der einzige Mensch,
der ganz erkennt was ich tu und wie ich’s tu, und es doch wieder anders sieht wie ich, von anderm Standort, so gibt das schöne Gewißheit.
    Goethe ließ sich von Merck etwas sagen. Merck war es, der Goethe, wie bereits erwähnt, mit dem Spruch, »Bei Zeit auf die Zäun’, so trocknen die Windeln!« zur Veröffentlichung des »Götz« gedrängt hatte. Andere Werke Goethes, zum Beispiel den »Clavigo«, kritisierte er in Grund und Boden, das Stück sei konventionell, erklärte er und riet dem Freund, sich auf das zu beschränken, was andere nicht können. Goethe stellte sich auf Merck ein und nahm manche Zumutungen hin, ohne Groll. Im Rückblick deutet er jedoch an, daß der von ihm so geschätzte Mann mit seinem
verneinenden
Grundzug sich selbst am Ende keinen Gefallen getan habe. Tatsächlich nahm Mercks Geschichte einen traurigen Verlauf. Er entzweite sich im Laufe der Zeit mit den meisten seiner Freunde und Bekannten und gewann wenig neue hinzu. Auch zu Goethe lockerte sich die Beziehung. In den späteren Jahren verlor er das Interesse für Literatur und die schönen Künste. Er versuchte sich als Privatunternehmer, mit geringem Erfolg. Eine von ihm gegründete Baumwollspinnerei ging bankrott. Von einer schweren Krankheit zermürbt, setzte er seinem Leben am 27. Juni 1791 ein Ende.
    Merck war, als Goethe sich mit ihm befreundete, ein Tausendsassa, der malte, dichtete, übersetzte, sich in den Naturwissenschaften auskannte, technisches Geschick besaß. Bei alledem aber ein Mensch des kühlen Verstandes. Um so erstaunlicher, daß er in Darmstadt nicht nur die Rolle des kritischen Geistes spielte sondern auch dem Kreis der sogenannten ›Empfindsamen‹ angehörte. Goethe lernte diesen Kreis kennen bei seinem ersten Besuch in Darmstadt, im März 1772.
    Es gehörten dazu der Geheimrat von Hesse und seine Frau, deren Schwester Karoline Flachsland, die seit 1770 heimlich mit Herder verlobt war. Sie wartete ungeduldig darauf, daß der Hofprediger in Bückeburg sie endlich vor allen Leuten als seine Auserwählte abholen würde. Weiter gehörten dazu das Hoffräulein Henriette von Roussillon, trotz ihrer Jugend bereits von Krankheit und Tod gezeichnet. Eine dauerhafte Bindung strebte sie nicht mehr an. Wenn sie nicht krank darniederlag in abgedunkelten Räumen, gab sie sich geistvoll und melancholisch, schmachtend in poetischen

Weitere Kostenlose Bücher