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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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(Jacobi), andere ein »Genie vom Scheitel bis zur Sohle« (Heinse). Man befürchtete, »sein Feuer werde ihn verzehren« (Bodmer). Man staunte ihn an wie ein Naturwunder.
    Goethe zog Leute an, die ihn mit fast religiöser Inbrunst zu verehren begannen. Ein Bekannter aus der Straßburger Zeit schrieb: »Dieser Goethe, von dem und von dem allein ich 〈...〉 stammeln und singen und dithyrambisieren möchte 〈...〉 dieser Goethe hat sich gleichsam über alle meine Ideale emporgeschwungen 〈...〉. Noch nie hätt ich das Gefühl der Jünger von Emmaus im Evangelio so gut 〈...〉 mitempfinden können, vor dem sie sagten: ›Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?‹ Machen wir ihn immer zu unserm Herrn Christus, und lassen Sie mich den letzten seiner Jünger sein!« Manchmal versammelten sich die Leute um ihn wie um einen Propheten. Höpfner, wie einst Goethe ein Mitarbeiter bei den »Frankfurter Gelehrten Anzeigen«, berichtet aus Gießen von einem Besuch Goethes: »teils sitzend, teils stehend, ja einige der Gelehrten Herren standen auf Stühlen und schauten über die Köpfe ihrer Kollegen in den Kreis der Versammelten hinein, aus dessen Mitte die volle Stimme eines Mannes hervordrang, der mit begeisterter Rede seine Zuhörer bezauberte.« Man verglich ihn mit Jesus und fühlte sich außerstande »etwas Begreifliches über dieses außerordentliche Geschöpf Gottes zu schreiben.« Wenn Goethe von Frankfurt aus zu seinen Wanderungen aufbrach, zog er manchmal einen Troß junger Mädchen und Kinder hinter sich her, und in Darmstadt, wo er bei Merck einkehrte, sammelten sich Schaulustige vor dem Haus. Merck spottete darüber und forderte den Freund auf, die Versammelten zu segnen. Goethe wurde die Sache bisweilen unheimlich, vor allem, weil ihn die Leute auch im eigenen Hause bedrängten. Er mußte regelrechte Audienzen einführen, viermal die Woche und nur vormittags. Das Zimmer blieb nie leer.
    Bei der Wirkung, die Goethe ausübte, legte er es nicht darauf an, sie zu forcieren, vielmehr machte er sich ihre Problematik bewußt. Noch Poet oder schon Prophet – das war hier die Frage.
    Im Hochgefühl der poetischen Inspiration fühlte er sich den Propheten immerhin so nahe, daß er sich in Gestalten wie Mohammed oder Abraham ganz gut einfühlen konnte, wenn sie von einem Gott ganz erfüllt waren: mahomet
Siehst du ihn nicht? an jeder stillen Quelle, unter jedem Blühenden Baum begegnet er mir in der Wärme seiner Liebe. Wie dank ich ihm er hat meine Brust geöffnet, die harte Hülle meines Herzens weggenommen, daß ich sein Nahen empfinden kann.
    Als Poet hatte Goethe offenbar einschlägige Erfahrungen gemacht, die ihn veranlaßten, über die Ausgießung des Heiligen Geistes beim Pfingstwunder nachzudenken:
Die Fülle der heiligsten tiefsten Empfindung drängte für einen Augenblick den Menschen zum überirdischen Wesen, er redete die Sprache der Geister, und aus den Tiefen der Gottheit flammte seine Zunge Leben und Licht
– so hört sich das in seiner kurzen Abhandlung »Was heißt mit Zungen reden?« an.
    Einen solchen Geist spürte er auch in sich. Der offenbarte ihm aber kein Jenseits, sondern ließ das eigene Innere und die diesseitige Welt in Schönheit erglänzen und gab ihm das Gefühl, teilzuhaben an den schöpferischen Kräften, die das All beseelten. Dieser Geist beflügelte ihn, er kam bisweilen mit dem Aufschreiben nicht nach.
    Prophet oder Poet? Goethe entschied sich schließlich für die Poesie. Der wahre Poet ist, wie der Prophet, auch begeistert, aber ohne missionarische Ambitionen und ohne den Anspruch, ein göttliches Sprachrohr zu sein. Und doch:
Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast der uns anhängt, in höhere Regionen, und läßt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen.
    Der Prophet wie der Poet werden von ihren Einfällen überwältigt, hingerissen, empfinden sich als Medium – das ist die Gemeinsamkeit. Goethe aber sucht den Unterschied. Poetische Inspiration und prophetische Eingebung mögen aus derselben Quelle fließen, doch anders als der Poet will der Prophet
das Göttliche, was in ihm ist, auch außer sich
verbreiten
. Der Prophet will Anhänger gewinnen, er muß sich der
rohen Welt
, auf die er wirken

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