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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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will,
gleichstellen.
So wird er berechnend und entfremdet sich seiner ursprünglichen Inspiration, wird sogar gewalttätig.
    Dieses Prophetenschicksal wollte der junge Goethe in seinem »Mahomet«-Stück darstellen, und in diesem Zusammenhang hatte er auch andere verdächtige »Propheten« satirisch aufgespießt, teils erfundene teils nach dem Leben gezeichnete, wie den Pater Brey oder den Schweinpriester »Satyros«.
    Für das »Mahomet«-Stück war ein erhabener Schluß vorgesehen, Mohammed sollte gereinigt und geläutert erscheinen. Mit seinen Propheten-Satiren indes sucht Goethe sich gegen die einschlägigen Gefahren zu immunisieren. Poesie ist Prophetentum in homöopathischer Dosierung. Wenn Goethe sich, wie er in »Dichtung und Wahrheit« schreibt, das
Titanengewand
zuschnitt, so auch mit der Absicht, etwas zu spielen, um es nicht sein zu müssen.
    Mahomet (die damalige Schreibweise für Mohammed) sollte als religiöses Genie vorgeführt werden, den seine Inspirationen in einen neuen Menschen verwandeln, der eine solche Kraft ausströmt, daß auch seine Umgebung verwandelt wird. Er reißt die Menschen, die er berührt, mit sich. In einem Wechselgesang zwischen Mohammeds Tochter Fatema und dem Schwiegersohn Ali wird die Inspiration im Bilde eines Stromes gefaßt, der alle Zuflüsse aufnimmt und gewaltig anschwellend endlich zum Meer führt. Doch es sollte nicht nur um die Epiphanie des inspirierten Religionsstifters gehen. Indem sich Mohammed auf das Irdische, auf die gewöhnlichen Leute und die gewöhnlichen Machtbeziehungen einläßt, verliert er seine Reinheit.
Das Irdische wächst und breitet sich aus
, heißt es in Goethes Mitteilung des Dramenplans,
das Göttliche tritt zurück und wird getrübt
. Die Religion wird zum Vorwand für Machteroberungen. Grausamkeiten geschehen und Mohammed läßt töten. Er geht sich selbst verloren. Im letzten nicht ausgeführten Akt sollte es zu einer Reinigung kommen, zu einer Rückkehr Mohammeds an die Quellen seiner Inspiration. Die Absicht des Stückes faßt Goethe bündig zusammen:
Alles was das Genie durch Charakter und Geist über die Menschen vermag, sollte dargestellt werden, und wie es dabei gewinnt und verliert.
    Diese Thematik behandelte Goethe zur selben Zeit, wie schon gesagt, auch in zwei Farcen, dem »Fastnachtsspiel vom Pater Brey« und dem Drama »Satyros oder der vergötterte Waldteufel«. Hier werden die Wirkungen des sogenannten Genies und des falschen Prophetentums von der komischen Seite dargestellt.
    Im Fastnachtsspiel geht es derb zu. Ein
Pfäfflein
hat sich als Prophet eingeschlichen, will die Leute bekehren und ist doch nur auf seinen Vorteil aus und hinter den Mädchen her. Leonore wäre ihm fast auf den Leim gegangen. Zum Glück kommt ihr Bräutigam, ein robuster Hauptmann, rechtzeitig zurück. Der Pfaff hat alles durcheinandergebracht, die Leute gegeneinander aufgehetzt, der Hauptmann aber stellt die alte Ordnung wieder her und jagt den üblen Charismatiker zu den Schweinen. In einem abschließenden Monolog rechnet der Hauptmann mit solchem Schweinepriester witzig ab, doch so, daß der religionskritische Ernst des Autors spürbar bleibt. Es geht ihm um die unheilige Allianz zwischen einer angeblich höheren Inspiration und Machtgelüsten, auch den sexuellen, und es geht um die gefährliche Verlockung, die verworrene Welt aus einem Punkt kurieren zu wollen:
Er meint, die Welt könnt nicht bestehen / Wenn er nicht tät drauf herumhergehen / Bildt sich ein wunderliche Streich / Von seinem himmlisch geistgen Reich / Meint, er wolle die Welt verbessern / Ihre Glückseligkeit vergrößern / Und lebt ein jedes doch fort an / So übel und so gut es kann. / Er denkt, er trägt die Welt aufm Rücken / Fäng’ er uns nur einweil die Mücken!
    Die Satire »Satyros oder der vergötterte Waldteufel« hat es ebenfalls mit einem solchen Schweinepriester zu tun. Goethe deutet in »Dichtung und Wahrheit« an, daß er nicht nur einen Typus, sondern an bestimmte Personen gedacht hätte, und man rätselte, wer es sein mochte, und war unter anderem auf Lavater, Heinse, Leuchsenring, Basedow, Goué und sogar auf Herder gekommen.
    Nun war Herder gewiß ein Charismatiker und hat auch Getreue um sich gesammelt, auch wurde er seiner rousseauistischen Neigungen wegen verspottet, sogar da und dort als »Pan« oder »Satyros« bezeichnet. Auch entstand die Satire im Sommer 1773, zu einer Zeit also, als die Beziehung zwischen Goethe und Herder angespannt war. Doch Goethe

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