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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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Bewußtsein sich schöpferisch erweitert; wenn man ein anderer wird und doch derselbe bleibt. Prometheus zu Minerva:
Und du bist meinem Geist / Was er sich selbst ist. /
〈...〉
/ Immer als wenn meine Seele spräche zu sich selbst! /
〈...〉
/ So war ich selbst nicht selbst, / Und eine Gottheit sprach / Wenn ich zu reden wähnte, / Und wähnt ich eine Gottheit spreche, / Sprach ich selbst.
/ Und so mit dir und mir / So ein so innig.
    Im zweiten Akt gibt Prometheus eine Probe dieser
Wirksamkeit
. Er macht, was Autoren auch sonst gerne tun: Er formt Menschen nach seinem Bilde, diesmal aber nicht aus Worten, sondern aus Lehm:
Sieh nieder Zeus / Auf meine Welt sie lebt. /
Ich habe sie geformt nach meinem Bilde / Ein Geschlecht das mir gleich sei. / Zu leiden weinen, zu genießen und zu freuen sich / Und dein nicht zu achten, wie ich
. Die Geschichte wird noch ein Stück weiter verfolgt; wie die Menschen lernen, sich gegeneinander zu behaupten, wie sie ihr durch Arbeit geschaffenes Eigentum und ihre Freiheit verteidigen und wie sie dann eingeweiht werden in das Mysterium der Einheit von Liebe und Tod. Das alles vollzieht sich knapp und gedrängt, fast eilig. In Erinnerung aber bleibt vor allem jene trotzige Auflehnung des Prometheus gegen Zeus:
und dein nicht zu achten.
    Diese rebellischen Verse kehren wieder in jener berühmten Prometheus-Ode –
Bedecke deinen Himmel Zeus
– die ursprünglich wohl den dritten Akt des Stückes eröffnen sollte, dann aber 1785 ohne Goethes Zustimmung als selbständiges Gedicht veröffentlicht wurde von dem Freund Friedrich Heinrich Jacobi in dessen Schrift »Über die Lehren des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn« – dort als vermeintliches Beispiel für einen kühnen Atheismus im Stile Spinozas. Dazu später mehr.
    Der gegen die olympischen Götter gerichtete Ton ist in diesem Rollengedicht (es spricht Prometheus!) aggressiver, selbstbewußter noch als im Prometheus-Stück. Es endet zwar, ebenso wie im Stück, mit dem
Hier sitz ich forme Menschen
, aber schärfer als im Stück wird die Machtlosigkeit der Götter angeprangert:
Ich kenn nichts ärmers / Unter der Sonn als euch Götter. / Ihr nähret kümmerlich / Von Opfersteuern und Gebetshauch / Eure Majestät, und darbtet wären / Nicht Kinder und Bettler / Hoffnungsvolle Toren
.
    Warum sollte das nur für die griechischen Götter gelten, und nicht auch für den christlichen Gott?
Wer half mir wider / Der Titanen Übermut /
〈...〉 /
Hast du’s nicht alles selbst vollendet / Heilig glühend Herz?
Ein
Herz
, das sich solches zutraut, braucht auch keinen christlichen Gott.
    Wer wollte, konnte aus dem Gedicht etwas Blasphemisches heraushören, und deshalb hatte Jacobi es ja veröffentlicht, und deshalb hatte es dann auch diese skandalisierende Wirkung. Im Rückblick von »Dichtung und Wahrheit« versucht Goethe die religionskritische Brisanz zu entschärfen.
Ob man nun wohl, wie auch geschehn, bei diesem Gegenstande philosophische, ja religiöse Betrachtungen anstellen kann, so gehört er doch ganz eigentlich der Poesie
.
    Goethes prometheisches Selbstbewußtsein gründet auf die
sicherste Base
seines damaligen Lebens, nämlich auf sein poetisch
produktives Talent
. Ihm fiel immer etwas ein, er war voller Ideen und schrieb morgens noch im Bett, nachts, untertags in Gesellschaft oder allein, mit Wein und ohne. Man konnte von ihm fordern, was man wollte,
so war ich bereit und fertig.
Da ihm diese
Naturgabe
in jener Lebensperiode offenbar immer und überall zur Verfügung stand,
so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in Gedanken gründen. Diese Vorstellung verwandelte sich in ein Bild, die alte mythologische Figur des
Prometheus
fiel mir auf
〈...〉
Die Fabel des Prometheus ward in mir lebendig. Das alte Titanengewand schnitt ich mir nach meinem Wuchse zu
.
    Etwas Übermütiges und Unbekümmertes war in Goethe, er versuchte alles mögliche, Lieder im Volksliedton, Oden im Stile Pindars, Theater in shakespearescher Manier, Jahrmarktsklamauk, Knüttelverse nach Hans Sachs. Es ging ihm leicht von der Hand. Ein Verwandlungskünstler, der auch die anderen zu verwandeln vermochte.
    So wirkte er auch auf seine Umgebung. Als ein Zauberer. Verstärkt durch den »Götz«-Erfolg war er umgeben von einer Aura des Unerhörten. Man nannte ihn ein »Genie«, suchte seine Nähe, hing an seinen Lippen, wenn er in Gesellschaft seine Späße trieb oder begeisterte Reden führte. Die einen nannten ihn einen »Besessenen«

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