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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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werde, daß sie
in den Wochen
liege, erst dann gehe
eine neue Epoche an und ich habe sie nicht mehr lieb sondern ihre Kinder
. Dann wälzt er noch einmal vor Kestner die Frage hin und her, ob er recht getan hatte, aus Wetzlar so überstürzt abzureisen. War er zu kalt oder zu heiß?
Es kostete mich wenig, und doch begreif ich nicht wie’s möglich war.
Es ist, als müßte er sich gegen den Vorwurf wehren, ein zu kalter Liebhaber gewesen zu sein, eine Absurdität gegenüber Kestner, der ja froh gewesen war, daß Goethe das Feld geräumt hatte. Aber Goethe tut so, als hätte er dadurch vor Kestner keine allzu gute Figur gemacht. Hätte er mehr um Lotte kämpfen sollen? Ist er nicht eigentlich ein Frauenheld?
Und unter uns ohne Prahlerei ich verstehe mich einigermaßen auf die Mädgen
. Auf Kestner sei er nicht neidisch, schreibt er, und deutet eigene Heiratsabsichten an. Es gäbe da eine Kandidatin – gemeint ist wahrscheinlich Anna Sibylla Münch, die ihm bei einem Mariage-Spiel zugelost worden war. Einmal schreibt er, was ihm von Lotte geträumt habe: Er habe sie am Arm durch eine Allee geführt und die Leute seien stehen geblieben, hätten sie gemustert und ihnen nachgesehen.
Und so träume ich denn,
schreibt er weiter,
und gängle durchs Leben, führe garstige Prozesse schreibe Dramata, und Romanen und dergleichen. Zeichne und poussiere und treibe es so geschwind es gehen will.
Das eine Mal gibt er sich erleichtert, aus der ganzen Geschichte heraus zu sein, das andere Mal klagt er, daß ihm Lotte nicht aus dem Sinn gehe. Er kommt sich jedenfalls ganz kurios vor.
Ich weiß nicht warum ich Narr so viel schreibe.
    Er schlägt auch düstere Töne an.
Ich wandre in Wüsten
, schreibt er, oder:
Meine arme Existenz starrt zum öden Fels.
Er deutet an, daß ihm bisweilen
erschießerlich
zu Mute sei. In »Dichtung und Wahrheit« ist von einem Dolch die Rede, den er eine Zeit lang auf dem Nachttisch bereitlegte und mit dem er mehrfach versucht habe, ob es ihm
gelingen möchte, die scharfe Spitze ein paar Zoll tief in die Brust zu senken
. Es gelang ihm nicht, und so lachte er sich
zuletzt selbst aus, warf alle hypochondrische Fratzen hinweg, und beschloß zu leben.
    Der Erfolg des »Götz«. Im Juni 1773 erschien das Stück, anonym und ohne Angabe eines Druckortes, auf Kosten von Merck und Goethe, der sich auch, da der geschäftskundige Merck als Begleitung einer Darmstädtischen Prinzessin nach Rußland gereist war, um den aufwendigen Vertrieb des Buches kümmerte. Es fand für damalige Verhältnisse reißenden Absatz. Der Autor konnte nicht länger anonym bleiben, wollte es auch nicht. Ein halbes Jahr später erschien ein zweiter autorisierter Druck, um den Raubdruckern zuvorzukommen, die man damit doch nicht hindern konnte. Das Stück, das Goethe selbst wegen der wechselnden Schauplätze und der fehlenden Handlungseinheit nur als Lesedrama gelten lassen wollte, wurde trotzdem sogleich auf die Bühne gebracht, zuerst in Berlin, dort mit der Beigabe eines Zigeunerballetts, dann in Hamburg, Breslau, Leipzig, Mannheim. Die Zeitungen stellten den jungen Autor vor, von dem man bisher im breiteren Publikum noch nichts gehört hatte. Überhaupt wurde mit dem »Götz« – und ein Jahr später in noch größerem Ausmaß mit dem »Werther« – eine neues Lese- und Theaterpublikum gewonnen. Die bisher eher bedächtige literarische Öffentlichkeit geriet in Erregung und fand Geschmack an der Sensation. Wer etwas auf sich hielt, mußte das Stück und den Autor kennen, zumindest aber von ihm gehört haben. In den Briefwechseln der Zeitgenossen, besonders bei den Frauen, glänzt dieser neue Stern am Literaturhimmel. Der Trubel um das Stück drang etwas später bis zum preußischen König vor. Friedrich II. war nicht amüsiert. Er nannte den »Götz« eine »abscheuliche Nachahmung jener schlechten, englischen Stücke«, womit die shakespeareschen Dramen gemeint waren. Ohne Namensnennung wurde der Autor gescholten als Verderber des literarischen Geschmacks. Doch in der Öffentlichkeit war man, auch aus patriotischen Gründen, stolz auf ihn. Man wollte sich auch in Literaturdingen nicht mehr vom König belehren lassen. Das literarische Selbstbewußtsein war gewachsen, woran die Erfolgsgeschichte des »Götz« erheblichen Anteil hatte.
    Die Rezensenten urteilen überwiegend zustimmend bis euphorisch. In Christoph Martin Wielands Monatsschrift »Der Teutsche Merkur« wird das Stück »das schönste interessanteste Monstrum« genannt, das

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