Goethe war’s nicht
unsäglichen Gedanken kam, er habe diese unsinnige Plackerei jetzt zu seiner neuen Leidenschaft erkoren: „Nix.“
„Aber Schatz, das hast du doch gestern schon gemacht.“
„Ja, aber ich bin nicht fertig geworden.“
Die Kälte traf ihn wie Nadelstiche. Nebelschwaden begleiteten seinen Weg zum Dautel. Herr Schweitzer dachte darüber nach, wie es sein konnte, dass dort, wo Kälte war, gleichzeitig auch Nebel sein konnte. Gefror denn Nebel nicht?
Er ging gemütlich, niemand trieb ihn zur Eile. Zwanzig Minuten dauerte sein Spaziergang. Kaum Menschen waren bei diesem Wetter zu Fuß unterwegs. Lediglich aus Straßenbahnen und Autos blickten ihm leere Gesichter entgegen.
Um so überraschender der Kontrast, der sich ihm im Dautel bot. Die Gaststätte war zum Bersten voll und überall wurde gelacht, gebabbelt und Bembel zum Nachfüllen herumgereicht. Seine Liebste entdeckte er im hinteren Bereich, wo es zu den Toiletten ging.
„Hallo, Simon, schön dich zu sehen.“
„Ganz meinerseits.“
Maria reckte sich des Begrüßungsküsschens wegen nach oben. „Und, hast du Hunger?“
„Mittel.“
Maria: „Wie? Mittel?“
„Na ja, mittel halt. Weder viel noch wenig. Vielleicht lasse ich die zweite Nachspeise weg.“
„Glaub ich nicht.“
„Wieso? Hab ich doch schön öfter gemacht.“ Herr Schweitzer streckte ihr trotzig sein Kinn entgegen.
„Nun, auf der Wochenkarte steht heißer Apfelstrudel mit Vanilleeis“, klärte ihn Maria süffisant auf. Immerhin kannten sie sich seit über neun Jahren.
Umgehend kletterte seine Gemütslage auf Rekordhoch. Vergessen war die hundsgemeine Flucht seines Dealers und das Schmuddelwetter hatte plötzlich eine romantische Einfärbung. „Oh, na dann. Dafür aber keine Vorspeise.“
„Respekt. Wieder mal auf Diät, mein Schatz?“
„Nö. Wieso?“
„Bist du doch manchmal, wenn du denkst, dich in letzter Zeit zu wenig bewegt zu haben.“
Stimmt, dachte Herr Schweitzer, Bewegung kam in letzter Zeit etwas kurz. Doch dann kam ihm sein höllisches nachmittägliches Putzmanöver wieder in den Sinn. „Ha! Wenn du wüsstest, dass meine Wohnung aussieht wie geleckt.“
„Bist du umgezogen? Muss wohl so sein, wenn man bedenkt, dass du mir vorhin erzählt hast, heute den lieben langen Tag lang nix getan zu haben.“
„Pah“, lautete Herrn Schweitzers lapidarer und endgültiger Kommentar zu diesem Thema.
Die Haupt- sowie die beiden Nachspeisen waren verputzt, das allgemeine Befinden vorzüglich. Noch ahnte Herr Schweitzer nicht, dass sich die morgige Einladung zum Mittagessen zu einer Katastrophe ausweiten würde, wie sie Sachsenhausen selten erlebt hatte – lassen wir jetzt mal die Kriegstage, Cholera, Pest und die permanenten Eintracht-Abstiege außen vor.
„Satt?“, fragte Maria.
„Danke. Das hat echt gutgetan.“ Herr Schweitzer tätschelte seinen Bauch. „Und wenn du mir jetzt noch erzählst, der blöde Herr Toupet habe das Essen morgen abgesagt, dann ...“
„Da muss ich dich leider enttäuschen. Außerdem heißt er Fornet und nicht Toupet.“ Maria tätschelte seine Hand. „Ist doch nur für ein paar Stündchen. Wenn ich den Auftrag kriege, hast du mindestens drei Wünsche bei mir frei.“ Mit ein paar Sekunden Verzögerung schob Maria noch ein „Schatz“ hinterher.
„Oh, das klingt ja in jeder Hinsicht viel versprechend.“ Herr Schweitzer klimperte erotisch mit den Wimpern. Beziehungsweise glaubte, erotisch mit den Wimpern zu klimpern. In Wirklichkeit sah es aus, als befände er sich auf dem Straßenstrich und versuche, auch der hartnäckigsten Kundschaft, die sich zur Not auch mit morschen Holzpuppen vergnügt hätte, einen Schrecken einzujagen.
„Ich möchte gern zahlen“, hörten sie den alten Mann sagen, der alleine am anderen Ende des langen Tisches saß.
Ein ganz normaler Vorgang, wie man meinen könnte. Doch als der Greis die Rechnung beglichen und minutenlang sein Wechselgeld beäugt hatte, kam Herrn Schweitzer der Verdacht, es könne sich bei dem Männlein um den sagenumwobenen Opa Becker handeln. Viel hatte er von ihm gehört, ihn aber noch nie live erlebt.
Maria redete und redete, doch der Sinn ihrer Worte verschloss sich ihm. Stattdessen gab er ihr einen leichten Tritt.
Maria: „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“
Im selben Moment rief der alte Mann erneut nach der Bedienung und bestellte sich ein weiteres Glas Ebbelwei. Da war sich Herr Schweitzer sicher, Opa Becker neben sich zu wissen. Laut Erzählungen war dies nämlich
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