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Goethe war’s nicht

Goethe war’s nicht

Titel: Goethe war’s nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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trügerisch ein. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Darauf bedacht, nicht über ein Hindernis zu stolpern, setzte er einen Fuß vor den anderen. An seinen fünf Fingern konnte er sich ausrechnen, dass ein auch noch so leises Geräusch seinerseits das Ende aller Bemühungen, die Geisel freizubekommen, sein könnte.
    Etwa fünfundzwanzig Meter hatte er sich im Unterholz bereits vorangetastet, als die Wolkendecke plötzlich aufriss, der Mond den kleinen Parkplatz schwach beschien und er den verrosteten Einkaufswagen an dessen nordöstlichem Rand entdeckte. Eine ADIDAS-Tasche lag nicht darin. Auch nichts anderes, soweit er sehen konnte.
    Okay, dachte er, die Entführer mögen zwar mit dem Zaster schon über alle Berge sein, bei all der Zeit, die inzwischen verstrichen war, aber wo waren Gilberto und sein Vater? Instinktiv suchte er nach umherliegenden Leichen. Schüsse waren zwar nicht durch die Nacht gepeitscht – die hätte er gehört –, aber die Möglichkeiten, jemanden lautlos um die Ecke zu bringen, waren ja schier unbegrenzt. Als da wären: Axt, Messer, Vorschlaghammer etc.
    Geschmeidig wie ein indianischer Spurenleser umrundete der Oberkommissar einmal das Gelände, immer darauf gefasst, über Menschenkörper zu stolpern. Als er den Ausgangspunkt wieder erreicht hatte, nahmen seine Augen plötzlich ein fluoreszierendes grünes Licht wahr. Die Entfernung war unmöglich einzuschätzen. Auch hatte sich der Mond wieder verzogen. Sofort richtete er den Lauf seiner Pistole auf die Lichtquelle. In seinem Kopf arbeitete es auf Hochtouren. Jede Faser seines Körpers war auf Konfrontation mit was auch immer eingestellt.
    Dann erreichten Töne seine Ohren. Töne, die er sofort richtig einordnete. Sie kamen ihm bekannt vor. Ein Handy. Genauer gesagt, das Handy, welches die Entführer Fornet in den Briefkasten geworfen hatten.
    Den Finger am Abzug und bereit, jederzeit loszuballern, pirschte er darauf zu. „Herr Fornet?“, flüsterte er in die Nacht, bei jedem Schritt immer lauter werdend. „Herr Fornet?“, „Hallo, Herr Fornet, können Sie mich hören?“
    Keine Antwort.
    Das Handy lag im Einkaufswagen und wartete offensichtlich darauf, bedient zu werden. Nach dem bisherigen Ablauf zu schließen, ging der Oberkommissar einfach mal davon aus, dass der Anruf ihm galt. Normalerweise verbot ihm sein Taktgefühl, an fremde Telefone zu gehen, hier jedoch ignorierte er es. „Ja? Hallo?“
    „Guten Morgen, Bulle. Das Ding gehört jetzt dir. Wir melden uns morgen Mittag wieder.“
    Bei dieser kurzen Mitteilung blieb es. Schmidt-Schmitt verstand die Welt nicht mehr. Was sollte das? Wer spielte da mit ihnen? Er hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Alles war so verworren. Nichts aus seinem Erfahrungsschatz half weiter. Die anderen hatten das Heft in der Hand, leugnen zwecklos. Er kam sich vor wie ein Zirkusbär, der für ein Stückchen Zucker alles machte, was der Dompteur ihm abverlangte.
    Mechanisch wie die verzerrte Stimme des Entführers steckte er das Handy ein, nahm sein eigenes heraus und rief Herr Schweitzer an. „Simon, hör zu! Geld weg, Fornet weg und keine Spur von seinem Sohn. Ich bin in spätestens einer halben Stunde wieder bei euch.“
    Als sich die Anspannung wieder gelegt hatte, marschierte er in der Hoffnung zum Wagen zurück, Fornet habe den Schlüssel stecken lassen. Auf dieses Detail hatte der Oberkommissar vorhin nämlich nicht geachtet.
    Doch auch nun kam es anders als erwartet. Mit eingeschaltetem Fernlicht kam ihm der Mercedes auf der anderen Seite der Brücke entgegen. Mit einem beherzten Sprung brachte er sich in Sicherheit.
    Ohne Auto hatte der Oberkommissar länger gebraucht. Durchfroren und übernächtigt wie er war, glich er einem Häufchen Elend. Quer hing er auf dem Sofa und wurde von seinen Freunden betüttelt. Maria brachte ihm eine Decke, stopfte ein Kissen unter seinen Kopf und flößte ihm heißen Melissentee ein. Außerdem bestand Schmidt-Schmidt auf ein volles Wasserglas Asbach Uralt, den er gut versteckt auf einem verchromten Getränkewägelchen neben dem eichenhölzernen Bücherschrank entdeckt hatte.
    Die allgemeine Stimmungslage hatte den Gefrierpunkt unterschritten. Nichts hatte sich zum Guten gefügt und all ihre ambitionierten Handlungen waren ins Leere gelaufen. Ein gengeschädigter Einzeller hätte kaum weniger Erfolg verbucht. Die einstige Frohnatur Michael Schmidt-Schmitt war zu einem Ausbund an Hoffnungslosigkeit mutiert. Nur noch ein Schatten

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