Goethe war’s nicht
jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Kurz vor dem Fornet’schen Haus mussten sie anhalten, weil ein kleiner Bagger von einem Anhänger geladen wurde. Und das am Sonntag.
Es gab Spiegelei mit Speck, dazu eine Schale mit in Dillsoße eingelegten Heringen, einen Teller mit verschiedenen Salami- und Schinkensorten, Marmelade und für jeden ein kleines Apfelküchlein.
„Was ist los mit euch?“, fragte Maria, nachdem sie sich mit der Serviette den Mund abgeputzt hatte, „ihr seid ja so still. Schmeckt’s euch nicht? Habt ihr was gefunden?“
Herr Schweitzer lenkte seine Augen auf seinen Kumpel, doch dieser guckte unschlüssig auf seine Hände. Er selbst hatte gerade auch keine große Lust zu reden, zu intensiv war er noch mit den neusten Entwicklungen beschäftigt. So sehr sich Herr Schweitzer auch mühte, das ganze bisherige Geschehen unter einen Hut zu bringen, es gelang ihm nicht mal ansatzweise. „Doch, Frühstück war prima. Auf dem Parkplatz: nix.“ Dann schaute er Fabiana zu, wie sie den Tisch abräumte. Irgendwie war die Frau heute Morgen so verschlossen. Hatte sie die Hoffnung aufgegeben? Aber er konnte ja nicht in sie hineingucken, wie es in ihrem Inneren aussah. Vermisste sie ihren Mann denn gar nicht?
„Fabiana“, begann der Oberkommissar, „heute um Mitternacht kommt Ihr Sohn frei.“
Ein gellender Aufschrei. Fabiana ließ einen Teller fallen. Dann stürzte sie vor Schmidt-Schmitt auf die Knie und umarmte diese. „Danke. Oh, Gil, mein geliebter Sohn Gil. Danke, danke, danke.“
Und dann wollte ihr Schluchzen kein Ende nehmen. Die Knie hielt sie fest umklammert, als wolle sie sie Teil ihres eigenen Körpers werden lassen.
Der Oberkommissar breitete die Hände aus und bat seine Freunde per Blickkontakt um Hilfe. Es war mehr als ersichtlich, dass ihn die Situation überforderte. Wie die wenigsten Männer wusste er mit flennenden Frauen umzugehen.
Maria kam ihm zu Hilfe. Behutsam löste sie Fabiana von Mischa. „Komm. Dein Sohn ist bald frei. Lass uns ins Wohnzimmer rübergehen.“
Nachdem sie alleine waren, sagte Herr Schweitzer: „Ich hätte es ihr auch nicht sagen wollen, das mit ihrem Mann.“
„Nein, das ging wirklich nicht. Erst die erlösende Nachricht und dann der nächste Hammer. Das verkraftet kein Mensch.“
Die Frage
„Was jetzt?“
lag unartikuliert im Raum, keiner brauchte sie auszusprechen.
„Lass uns rausgehen an die frische Luft. Ein kleiner Spaziergang. Mir ist, als wären sämtliche Gehirnzellen abgestorben“, schlug der Oberkommissar vor.
„Geht mir genauso. Hoffen und Harren machen manchen zum Narren“, bestätigte Herr Schweitzer. „Ich sag nur schnell Maria Bescheid. Zieh dich schon mal an.“
Auf den ersten hundert Metern war kein einziges Wort gefallen. Ernsthaft zweifelten beide an ihren Dekodierfähigkeiten, geballter Sachverstand sah anders aus.
Aus Jux und Dollerei fragte Herr Schweitzer, als sie die Wohngegend verlassen und die Kleingartenanlage erreicht hatten: „Du hast nicht zufällig fünf Millionen einstecken?“
„Ich nicht. Aber für die Teutonische Staatsbank wären das Peanuts, wie sie immer so schön behaupten.“
„Haben wir irgendwo einen Fehler gemacht, etwas übersehen vielleicht?“, fragte Herr Schweitzer rhetorisch.
„Wenn ich das nur wüsste. Ich überlege schon die ganze Zeit. Und bei den Nachbarhäusern ist mir auch nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Keine verdächtige Bewegung hinter den Gardinen, kein Kraftfahrzeug mit auswärtigem Kennzeichen, keine komischen Typen uff de Gass, nichts.“
„Ja, Mischa, mir auch nicht. Aber wahrscheinlich sind sie irgendwo in der Nähe. Vielleicht gerade hier in einer der Gartenlauben.“
Aus Reflex lenkte der Oberkommissar seinen Blick nach rechts. „Ja, ja. Aber um das Gelände zu observieren, wäre eine Hundertschaft nötig.“
„Denkst du dasselbe wie ich?“
„Du meinst, endlich doch das BKA einzuschalten?“
„Genau. Ich denke, das wollen die auch. Die müssten doch wissen, dass wir unmöglich die geforderten fünf Millionen beschaffen können. Warum haben die sich an uns gewandt und nicht direkt an die Teutonische Staatsbank?“
„Frag ich mich auch schon die ganze Zeit“, erklärte Schmidt-Schmitt resigniert.
„Mit was hättest du zu rechnen, wenn die Chefs von deinem Alleingang erfahren?“
„Puh, frag mich doch mal was Leichteres. Aber ich denke, wenn ich mich nicht mit einer Magenverstimmung abgemeldet hätte, wär’s nur halb so schlimm.
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