Goethe war’s nicht
ohne Hörgerät.“
Herr Schweitzer, mit einer Brise Fatalismus: „Könntest du dann jetzt bitte noch ein Testament aufsetzen. Deine Gartenlaube am Mühlberg ist ganz hübsch.“
„Oh, du überraschst mich, Simon. Ich hätte gewettet, du würdest mehr Wert auf mein Dope aus Kirgistan legen als auf so ne schäbige Hütte.“
„Und ich hätte schwören können, dein Dope lagert in der schäbigen Hütte.“
„Richtig. Ganz schön clever, der Herr Schweitzer. Zwei Fliegen mit einer Klappe, was?“
Als Antwort erhielt Schmidt-Schmitt ein verschmitztes Lächeln.
Der Rest war Schweigen.
Bis Fornet zurückkam. „Keine Spur von Gils Käfer weit und breit. Ich bin sogar einmal ums Karree gelaufen.“
„Okay, wäre das auch geklärt. Oder auch nicht“, sagte der Oberkommissar. „Wir sollten noch was essen. Wer weiß, wann wir das nächste Mal dazu kommen.“
Wie auf Kommando gab Herrn Schweitzers Bauch erste Knurr-Geräusche von sich. „Prima Idee.“ Philosophisch angehaucht ergänzte er: „Denn Kreuzberger Nächte sind lang – Sachsenhäuser noch viel länger.“
„Ich hole Fabiana.“ Fornet war im Begriff, seine Schritte Richtung Treppe zu lenken.
Schmidt-Schmitt verhinderte es: „Lassen Sie das bloß bleiben. Ich bin heilfroh, dass wir uns im Augenblick nicht auch noch um die Dame des Hauses kümmern müssen.“
„Pizza-Service?“, schlug der Hausherr stattdessen vor.
Nicht schon wieder, dachte Herr Schweitzer, hatte ich doch gestern erst. Bis ihm einfiel, dass Pizza-Service nicht stringent Pizza-Service bedeuten musste, sondern auch Pasta- und Scaloppine-Anlieferung beinhaltete; Italiener an sich sind diesbezüglich nämlich ziemlich variabel. „Haben Sie so einen Speisezettel hier?“
„Hängt in der Küche am Brett. Ich hol ihn.“
„Und Maria, die möchte sicherlich auch was.“
Nix Scaloppine – Herr Schweitzer entschied sich für die Calamari.
Bis auf Fabiana, die nur wenige Bissen ihrer Pizza herunterwürgen konnte, hatten anderthalb Stunden später alle ihre Mahlzeit verputzt.
„Ich weiß, es ist noch relativ früh am Abend“, begann Schmidt-Schmitt, „aber wir sollten uns bis zum Anruf um zwei noch ein bisschen aufs Ohr hauen. Zumindest die Herren. Es kann eine verdammt lange Nacht werden.“
Daraufhin erst registrierte Herr Schweitzer eine vollkommene Übermüdung seinerseits. Die ganze Anspannung der letzten Stunden hatte sein Primärbedürfnis verdrängt.
Ein Schritt zum Bett ist immer ein Schritt in die richtige Richtung
gehörte schon seit seiner Jugend zu seinen Leitsätzen. Sein Schlafverhalten war mehr als eigenbrötlerisch. Es war in mehrere Abstufungen unterteilt. Acht Stunden Nacht- und zwei Stunden Mittagsschlaf kategorisierten den Tag zur Premiumklasse. Musste der Mittagsschlaf, aus welchen Gründen auch immer, ausfallen, fehlte ganz klar das i-Tüpfelchen. Sechs bis sieben Stunden waren kein Leben mehr, sondern reinstes Überleben. Vier bis fünf konnte man getrost als Totalschaden bezeichnen, der sich für jedermann sichtbar in seinem Gesicht eingrub und seine Außendarstellung ins Griesgrämige katapultierte. Darunter ging gar nichts mehr. Dahinvegetieren wäre das richtige Wort dafür, doch so weit ließ es Herr Schweitzer nie kommen. Nur einmal in seinem ganzen Leben hatte er einer Frau wegen eine Nacht durchgemacht. Da war er noch sehr jung und unwissend gewesen. Diese Erfahrung gehörte zu denen, auf die Herr Schweitzer gerne verzichtet hätte. Es war die Hölle und die darauf folgende Woche eine einzige Katastrophe gewesen, in der er nichts, aber auch rein gar nichts auf die Reihe gebracht hatte. In Anspielung auf sein ausgemachtes Schlafbedürfnis und den Indianerhäuptling Sitting Bull wurde er von Maria auch hin und wieder Lying Simon genannt.
Lying Simon also – er fühlte sich, als habe er den Tag über geschafft wie die aus einer anderen Epoche stammenden sprichwörtlichen Frankfurter Brunnenputzer. Begeistert griff er Schmidt-Schmitts Vorschlag auf: „Wo können wir uns hinlegen?“
Fabiana, ausnahmsweise ihre Sinne beieinander habend: „Unten haben wir ein Zimmer für Gäste und hier auf der Couch ist auch Platz für die eine oder andere Leute … Person. Bettzeug und Decken haben wir viel. Ich gehe holen.“
„Ich helfe dir“, bot Maria an.
„Brauchst du nicht. Das schaffe ich alleine. Danke.“
Der Oberkommissar: „Okay, dann würde ich vorschlagen, dass Maria und Simon das Gästezimmer nehmen. Ich übernehme den Beobachtungsposten
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