Goethe war’s nicht
Erklärung schuldig. Herr Wagner, wenn Sie möchten, kommen Sie doch heute Abend mit Mischa bei uns vorbei. Vielleicht so gegen acht nach dem Abendessen?! Ich werde euch dann eine Story rund um Dixi-Klos erzählen. Man sollte die kleinen hellblauen Dinger nicht unterschätzen.“
Dieter Wagner, schmunzelnd: „Gerne. Ich bin jetzt schon gespannt wie ein Flitzebogen. Ich werde noch ein paar Akten ungelöster Fälle mitbringen. Falls Sie so nett wären, da mal einen Blick drauf zu werfen.“
„Mach ich“, erwiderte Herr Schweitzer schelmisch.
„Kann ich Sylvia mitbringen?“, fragte der Oberkommissar.
Da hatte er wohl was verpasst, dachte Herr Schweitzer. Aber so Sterbliche wie ich können ja auch nicht alles mitkriegen, zumal man auch nicht an allen Orten gleichzeitig sein kann. „Logisch, bring sie mit. Machen wir uns einen schönen Abend. Nach all dem Mist der letzten Tage haben wir es uns verdient. Besorgt noch Kuchen, am besten irgendeinen cremigen mit mindestens einer Million Kalorien pro Kubikzentimeter.“ Er hatte vor, sich nach dem Ausschlafen mal wieder richtig gehen zu lassen. Mit Pollo catalán, mit Kuchen, mit Alkohol und allem dazugehörigem Pipapo.
„Hallo, Simon.“ Maria umarmte ihren Schatz. „Ist Herr Fornet freigelassen worden? Hast du den Fall gelöst?“
„Ja. Einzelheiten erzähle ich dir nachher. Ich muss ins Bett. Sofort. Ich schlafe schon im Stehen.“
Und in der Tat, Herr Schweitzer war nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Wangen eingefallen, die Ringe unter den Augen tiefschwarz und auch den Gürtel hätte er getrost ein Loch enger machen können, wenn er noch die Kraft dazu gehabt hätte. Das wurde natürlich auch von Maria von der Heide registriert, die ihren Freund auf dem Weg ins Schlafgemach begleitete.
Bevor er sich hinlegte, sagte er noch: „Du, Maria. Heute Abend nach dem Essen kommen noch Sylvia, Mischa und Herr Wagner. Die bringen Kuchen mit. Hoffentlich.“
„Ja, Schatz.“ Maria küsste ihn auf die Nase.
So hatte es Herr Schweitzer gerne.
Euphemistisch hätte man es Schlaf nennen können. In Echt war es aber ein veritables 10-Stunden-Koma gewesen, aus dem sich Herr Schweitzer vor zwanzig Minuten befreit hatte. Zwar hatte er schon eine Stunde vorher mal probeweise ein Auge geöffnet, doch wie gesagt, war dieser Vorgang nur eine Probe gewesen, die nicht allzu viel Bewegungsenergie freigesetzt hatte. Um der Wahrheit gerecht zu werden: gar keine.
Nun aber saß Herr Schweitzer hellwach vor dem Ofenfenster und guckte dem katalanischen Hähnchengericht beim Garen zu. Kein Witz! Wer je Pollo catalán zubereitet hatte, weiß, wovon die Rede ist. Der Saft der Zitronenschnitze ergibt nämlich im Verbund mit dem Olivenöl einen Sud, der des Geschmacks wegen in regelmäßigen Abständen mit einem Löffel vom Boden der gigantischen gusseisernen – tönern geht auch – Auflaufform geschöpft und hernach über Kartoffeln, Paprika, Knoblauchzehen, ganze Zwiebeln, Tomaten und Hähnchenschenkel gegossen werden muss.
Dies war nun seine Aufgabe. Immer wenn die oben liegenden Zutaten zu sehr auszutrocknen drohten, musste Herr Schweitzer diese Prozedur ausführen, Maria war inzwischen duschen. Diese Art von Tätigkeit war wie auf ihn zugeschnitten. Man konnte dabei seinen Gedanken freien Lauf lassen, darüber nachdenken, wie die Weltgeschicke besser zu ordnen seien oder sich mit dem letzten Fall beschäftigen.
Letzteres tat Herr Schweitzer. Gezwungenermaßen, denn eigentlich würde er diesen unsäglichen Fornet liebend gerne aus seinem Gedächtnis verbannen. Für solche Bankster, wie es neudeutsch und punktgenau neuerdings hieß, war dafür nämlich kein Platz vorgesehen. Er beschäftigte sich lieber mit den schönen Dingen des Lebens. Okay, nach den Buchstaben des Gesetzes hatte er richtig gehandelt. Doch darum hatte er sich bislang selten geschert. Vielleicht, so dachte er, hätte ich besser meine Klappe gehalten. Zumindest bis Fabiana und die beiden Söhne sicher in der Luft gewesen wären. Soweit sich Herr Schweitzer erinnerte, gab es mit Brasilien keinen Auslieferungsabkommen. Und die kleine Familie hätte mit dem Geld ein neues Leben beginnen können, ganz weit weg von diesem Familientyrannen. Er hasste Familientyrannen, weswegen er keine Bücher von Thomas Mann las.
Nie zuvor hatte er sich miserabler nach getaner Arbeit gefühlt. Plötzlich musste er vor sich hin lachen, denn ihm fiel ein allseits bekannter Spruch ein: Operation gelungen, Patient tot. Tja, sagte
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