Goethe
Willens wachsen die Früchte viel problematischer als im Muß der Natur. Ich will mir doch ein Bild von der Welt in die Seele hinein malen?«
»Weil Sie sich diesen Luxus leisten können!« Obwohl er sich mit aller Kraft dagegen wehrte: der bittere Haß des Verdienenmüssers gegen den gebetteten Zeithaber schoß mit jedem Worte. »Ich aber kann ihn mir nicht leisten! Ihnen ist die Kunst der Niederschlag Ihres Lebens. Mir die meinige mein einziger Beruf!«
Schelmisch lächelte Goethe. Wahrlich, dieser Mann hatte nicht umsonst neben ihm gelebt!
»Zweifellos,« fuhr Tischbein wie der Pfeil im Fluge fort, »sind Sie als Künstler geboren! Aber glückliche äußere Umstände leiteten Sie von selber in die glückliche Fortsetzung dieser Geburt. Ganz natürlich daher, daß immer mehr Leben – und Welt – und immer tieferes Schauen Sie nicht nur nicht bangmacht und stört, sondern immer gewisser in Ihre Art Kunst hineintreibt, die, um es noch einmal zu sagen, eben nichts anderes ist, als der Spiegel Ihres Lebens! Ich hingegen, ich habe mich zur Kunst erzogen. Führte Sie das Leben zur Kunst, – mich muß die Kunst zum Leben führen. Ist sie Ihnen, genau so wie Ihre Naturbetrachtung, nur Mittel, um zum Kosmos in einen logischen Bezug zu geraten, so bedeutet sie mir das einzige Kapital, um eine unabhängige Stellung im Leben zu erringen. Und da ich bereits in meinem fünfunddreißigsten Jahr stehe . . . . . .«
»Das begreife ich alles recht gut.« Lebhaft griff Goethe nach dem aufgeregten Arm. »Sie wollen finanziell frei werden, einen anständigen Wirkungskreis haben, Ihre Produktion nicht immer nach dem Bedürfnis nach ein paar Zechinen einrichten müssen.«
»Gott im Himmel! Wenn ich Ihnen mein bisheriges Leben vormalen würde!« Hitziges Feuer auf den Wangen, Flackern im Auge, das blind war für die fabeltolle Pracht der Sonne, die immer wilder das Wunder des Golfs vergoldete, sprach der so unbegreiflich plötzlich Verwandelte. »Bis zu meinem dreizehnten Jahr trieb ich mich unter den Eichen von Hayna mit Gänsehirten, Habichten und Hasen umher; ununterbrochen die Kreide in den behexten Fingern. Und war doch später niemals mehr annähernd so künstlerisch frei wie damals! Wer es erlebt hat: eigene Ideen von Kunst im Schädel zu haben, hohe, ernste, und, nur damit man zu fressen habe, zehn, fünfzehn, zwanzig Jahre lang Porträts von Idioten, Idyllchen, Anekdotchen, Landschaften mit herzigen Staffagen pinseln, alles Das aber, womit man sich völlig identifiziert, stehen lassen zu müssen, weil von Anfang an feststeht: das wird niemals gekauft werden!?« Tobsüchtig: »Ich kann nicht mehr! Ich bin ein besonnener Mensch, der immer wußte, was er will, und habe seit Kindesbeinen gearbeitet, ohne mir die kleinste Extratour ins Faulenzen oder ins Falsche zu gestatten! Und habe es zu nichts Weiterem gebracht als zum konditionalen Versprechen des Herzogs von Gotha auf jährliche vierhundert Taler! Da ist es denn, scheint mir, nur allzu begreiflich . . . .«
»Ohneweiteres! Natürlich! Aber ich sehe nur nicht ein, warum Sie gerade jetzt so ungeduldig werden, wo Sie auf dem besten Weg sind, Ihre Zukunft zu gestalten?«
»Ja, wenn ich das wüßte!«
»Das lassen Sie doch lieber« – gekränkter Blick strafte den Mißtrauer – »meine Sorge sein! Ich habe Sie seit einem halben Jahr vor Augen; da kann man, denke ich, ein Urteil fällen? Es ist in Weimar, was die Erziehung zur bildenden Kunst nach gediegenen Grundsätzen anlangt, sehr im Argen. Amalia ist durch Herdern, Karl August und mich bereits unterrichtet von den Plänen, die ich in dieser Beziehung hege. Und sobald ich zurück sein werde . . .«
»Herr Geheimerat!«
Aber Goethe ahnte eben noch immer nichts. Mit überlegener Handbewegung schnitt er die Einrede ab. »Das wird einfach gemacht! Ich sehe aber, zweitens, auch nicht ein, was dies alles mit meiner Liebhaberei für den Vesuv zu tun haben soll? Und warum Sie daraus gerade mir einen Strick drehen wollen?«
Das Schlottern kam Tischbein in die Glieder. Der Stock in seiner Hand begann erbärmlich zu zittern. »Es muß wohl jeder – nach seinem eigenem Gesetze leben?«
»Das wird selten jemand voller anerkennen als ich!« Unsicher, durch ein einziges Wort, war Goethe geworden. »Aber auch dies will, scheint mir, in diesem Zusammenhange nichts heißen?«
Wie das Kind den Vater anstarrt, der es beim Lügen erwischt hat, starrte Tischbein ihn an; bleich wie ein Leintuch.
»Also, erklären Sie
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