Goethe
mir's doch!«
Erklären! Was denn erklären? Rausch, tückisch plötzlich, fiel den ratlosen Mann an. Von beiden Beinen verlassen, stützte er sich, taumelnd, auf den Stock. »Ich habe nicht soviel Zeit wie Sie!« stieß er endlich, wie in der Schraube der Folter, hervor. »Wenn ich jetzt mit Ihnen nach Sizilien ginge . . .«
»Ich weiß noch nicht, ob ich nach Sizilien gehen werde.«
Aber jetzt war es wenigstens heraußen! Gott sei Dank, endlich wirklich heraußen! »Sie müssen nach Sizilien!« Jawohl! Nur jetzt nicht mehr loslassen, roh, rücksichtslos sein! Einen Ruck gab sich Tischbein. »Sie brauchen Sizilien! Und Sie brauchen auch jemand, der Sie begleitet! Für mich aber dürften sich gerade in den nächsten Tagen die Verhältnisse in Neapel so zuspitzen, daß ich fürchten müßte, durch eine Abwesenheit mir beträchtlich zu schaden. Ich sprach vorgestern mit dem Cavaliere Venuti. Er meinte, die Königin sei bereits schicklich vorbereitet, und wenn Acton gewonnen werden könnte . . .«
Als ob ihn der Schlag getroffen hätte, blieb Goethe stehen. »Sie wollen – sich trennen von mir?«
Das Auge, wie unter niederprasselndem Blitz, senkte Tischbein; er fühlte zu blutig, was in dem Mann neben ihm jetzt zerrissen ward. »Es ist mir in meinem ganzen Leben nichts Besseres geschehen,« stammelte er hilflos stotternd, »als daß ich Sie solange begleiten durfte. Und ich fühle unverhüllt, welch tiefe, persönliche Enttäuschung mein Entschluß Ihnen bereiten muß. Trotzdem – mußte ich ihn fassen! Erringe ich nämlich den Posten eines Direktors der königlichen Akademie, . . .«
»Ah!« Fassungslos starrte Goethe ihn an. »Es ist also richtig, was Hackert vermutet: Sie wollen – Bonito heben?!«
»Er ist alt und muß einmal sterben; oder in Pension gehen.« Eiskalt im Strich der Sekunde geworden und stahlhart, sprach es Tischbein dahin. »Auf alle Fälle aber ist das Eisen jetzt zu schmieden! Ich muß mit allen Mitteln trachten, die Verbindungen, die ich in den letzten Wochen anknüpfte, zu verdichten, den Fuß, den ich in Caserta gefaßt habe, so zu verankern, daß er fest stehe. Mit einem Wort: will ich meine Chancen nicht gefährden, so darf ich jetzt Eines nicht tun: fortgehen von da! Und weiß ich auch noch so gut, daß Ihnen diese, sagen wir, Materialisierung meiner Kunstbestrebungen Widerwillen, wenn nicht gar Verachtung einflößt, – ich fühle doch . . . .«
»Im Gegenteil!« beeilte sich Goethe zu beteuern; es kochte in seinem Innern wie in der Tiefe des Meeres, worin der Sturm sich bereitet, um bis auf Stumpf und Stiel auszufegen. »Jeder, wie er muß; oder, wenigstens, wie er kann! Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie in der Fremde finden, was Sie im Vaterland nicht lockt! Die Frage ist nur die . . .«
»Vaterland?« Beißend – der Riß war getan, keine Schonung mehr nötig – lachte Tischbein auf. »Die Kunst hat in Deutschland kein Vaterland! Man lebt dort von Almosen, bis man als Pfuscher krepiert. Hat aber Einer das Glück, Geld zu besitzen, dann treibt ihn das Philisterium der teutonischen Banausen erst recht zum Tor hinaus! Sie selber, Exzellenz . . . .«
Aber Goethe streckte ihm einfach die Hand hin. »Jedenfalls tut es mir leid! Ich bin Ihnen Dank schuldig und hätte ihn gerne abgestattet. Freilich, – das Leben ist so. Niemand soll es korrigieren!« Und ohne die Miene zu verändern, zog er die Hand aus der Hand; nun lachte er. Ein Schleier, bestellt, flog durch sein Auge; nun lachte das Auge. Plötzlich, friedlich, das ganze Gesicht. »Wissen Sie übrigens schon den – verzeihen Sie, wenn ich ›Nachfolger‹ sage?«
»Kniep, Herr Geheimderat! Kniep!« Felsen fielen ab von der Brust Tischbeins. Stimme, Gestalt, Blick, Farbe – unerträglich verräterisch – fanden sich wieder. »Ich kenne ihn so weit, um zu versprechen, daß er taugen wird. Er hat einen reinen, guten Strich, ist Landschafter katexochen, wird Ihnen Neapel sowohl wie Sizilien treu und anständig abzeichnen,« – wie ein Wasserfall floß jetzt das Wort – »verfügt dazu über eine durchwegs offene Bescheidenheit, Munterkeit, geraden Sinn, harmlose Lebensauffassung, und wäre überglücklich . . .«
Wie aus dem Konzept geschleudert, setzte er ab. Mit einem Gesicht, das er noch niemals gesehen hatte, starrte Goethe über den letzten Sockel des Bergs, über Resina, die Grüne, das Ufer, das Meer hinaus in die fernste Ferne. »Was . . . suchen Sie, Herr
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