Goethe
Geheimderat?«
Aber noch mit ganz demselben Gesichte, drei Stunden später, strebte Goethe durch den Strudel der via Toledo bergaufwärts; die verfluchte Träne, die noch immer nicht weichen wollte, in der zuckenden Wimper: »Auch Dieser! Auch Dieser! Was steht denn fest dann, wenn auch Dieser . . . .??« Wenn er sich vorstellte, wie dieser Mann ihm in Rom, noch am Abend der seligen Ankunft, um den Hals geflogen war! Ihn seither ohne Unterlaß selbstlos, nichts als Helfer, Schrittmacher, Getreuester der Treuen durch Nacht und Tag geleitet hatte! Immer! Und jetzt? Hart blieb er stehen. Lehnte sich hart an die Wand eines Hauses in der brausenden Schlucht der tosenden Straße. Alabastern wuchs das aufrecht gezwungene Haupt über dem tollwütigen Strom der Menge aus der Glut, die der Sonnenuntergang in die Tünche des Kalks warf. Unbeweglich, einzig das kämpfende Auge in ständig auf und nieder wandernder Regung, verharrte der Leib. Über den Dächern rollte die weichsamtblaue Luft mit den Purpurfahnen des Abendscheins aus märchenfernem Irgendwoher in unbestimmbares Irgendwohin. Aus den schwarzen Vierecken der Fenster und aus den Käfigen der Gitterbalkone flossen die unerforschlichen Laute unbekannt urfremder Menschen, denen ihn nichts verband als der ähnliche Körper, heraus in die theaterwild gestaltige Bewegung. Wo Licht noch war, lebte es in Orgien; in der Tiefe der Straße, wo sie anstieg, sah er ein orangerotes Haus zwischen zwei schmalen, grell aprikosenroten. Im Hintergrund, umgaukelt von trübem Opaldunst, eine kanariengelbe Querwand, die von grünspangrünen Säulen gegliedert war. Alles Schattige seinem Auge gegenüber aber starrte von massiger blauschwarzer Dunkelheit. Grell wie Blendflammen schossen an diesen Finsternissen vorüber die galoppierenden Schimmel, die goldenen Geschirre, die buntlackierten Leiber der Karossen, die gleißenden Seidenhüte der Frauen mit den himmellichten Federbüschen und die Bernsteingesichter der Cavaliere unter höchsten Toupées. Ohne Raumübergang, Zeitübergang, traumhaft plötzlich, überfiel ein Schwall gleißenden Glanzes einen Wagen, darin hinter brennrotem Kutscher und vergißmeinnichtblauem Lakai eine Matrone mit drei blutjungen Mädchen saß. Der Lärm, der getreu wie sein Kind mit dem Lärm der Menge lief, staute sich jäh; sprang nun aus der krampfhaften Sammlung wie in hunderttausend einzelne Blumen zerwirbelter Strauß in die magische Mischung von Äther und Erdlichkeit aufwärts, – und als ob ein Menschenbild glorreichster Schönheit aus dem Hohen ins Tiefe niederstiege und zwischen beiden zögernd verschwebte, stieß das Bild des springenden Frühlings herein in die Straße; des von der Straße nicht gesehenen Frühlings, wie er um die Stadt herum die kampanische Erde trächtigte, und die strahlende Schimmerleuchte des Meeres und der veilchenblaue Traum von Capri gegenüber dem goldenen Abend von Sorrento. Ekstatisch bauschte sich das Rosenrot des jüngsten Mädchens im Wagen gegen die herrliche Wolke der Säumnis, ein Mannsgesicht, ohnmächtig nachstarrend, wuchs aus der Bronze eines Tors, – betörend, wie von schwellenden Winden hergetrieben, umstrich alle Sinne jäh der Duft des Genusses. »Auch Dieser! Auch Dieser!« lispelte in schmerzhafter Klage der Mund. Aber das Auge – die bittere Träne getilgt von der zwingenden Macht dieses Duftes – ward hinweggezogen unerbittlich vom Worte. Ließen sich nicht die knospenden Pawlonien riechen und die gewiegten Zedern vom Strande der Chiaia her? Die steinernen Leiber von Statuen fühlen aus noch unbetreten kühlen Museen? Die Gemächer des Prunks sehen in nie zu betretenden Palästen? Die Seelen der Früchte ahnen, die in unzähligen Läden aus knisternden Weidenkörben äugelten? Die Wonnen der Liebesstunden erraten, die jede Schwere der Pflichtgedanken mit der Verlorenheit ihrer Umarmung zerlächelten? Der Atem berauschender Weine wittern, auf fürstlichen Tafeln, von denen Brosamen fielen allen Bettlern und Krüppeln – und allen immer wieder in Stücke Zerfetzten?
Gestreichelt vom Hauch dieser Düfte, Lockungen, Winke, begann das Blut heiß zu steigen; die bedrängte Brust sich zu dehnen. »Was heißt Enttäuschung, Bitterkeit, Wehmut? Das Leben ist: Fluß! In diesem Fluß treibt der Mensch! Heute so, morgen so! Aber immer im Flusse. Laß ihn doch, ruhig der Woge vertrauend, wieder einmal ruderlos treiben! Sitzt nur in ihm drin die Seele, die sicher weiß: Alles Äußere ist Wechsel, alles
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