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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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Vaters Grabe zurücktauchte. Die Sichel des Mondes schien nun so licht, daß die Umrisse des Vulkans vor den sanft erhellten Horizonten der Ferne hervortraten, die Tiefe des Meeres mit dem ungewellten Spiegel seines ruhigen Liegens sich hinter der Bläue von Capri und der bogig gespannten Himmel abhob, und die Stadt, Castellamare und Sorrento geformt aus der Unform der blauträchtigen Erde aufwuchsen. Wo aber, wo stand in dieser Schönheit Schranke auf, Zaun oder Zügel? »Die Söhne tragen die Last des Ahnenbluts, – ja, Vater! Dennoch: wirken wollen sie, müssen sie, können sie durch sich selber! Denn es ist mehr in ihnen, als mit den Vätern ins Grab stieg!« Schaudernd vor der Kälte dieser klaren Besinnung, weil noch immer im Zwange des Bilds von den Schuhen, die sich gegen die Sargwand stemmten, stieß sich der entzündete Geist hinein in die Wirbelbahn seiner Lust: nun zu spielen! »Weiterhin denke ich . . .«
    »Endlich! Also?
    »Weiterhin denke ich,« wiederholte er, so über die Brüstung zurückgebeugt, daß sein Auge gerade gegenüber dem Auge des Mädchens funkelte, »an die Unbegrenztheit der Möglichkeiten, die der Schönheit dieser Natur da gegeben ist.«
    »Und dann?«
    »An die Palmen Arabiens. An das Gold Indiens. An die Rätsel der Urwälder. An die sagenhaft unerschöpfliche Wonne, mit der ein Mensch vollen Reichtums, fester Gesundheit und ausgebildeten Geistes die Wunder und Wahrheiten dieser Welt genießen könnte.«
    »Und dann?«
    »An Hamiltons Schätze und – Schatz.«
    »Und dann?«
    »An die heimliche Lust der Verbrecher, die sogenannten Nichtverbrecher meuchlings ermordet und ausgeraubt zu haben.«
    »Brr!« Der weiße Peplos, unter dessen Gleiten die Pracht des Busens ihre marmornen Spitzen an den Marmor schob, klirrte. »Und dann?«
    »An die Eitelkeit der Wollust und die Wollust der Eitelkeit, mit der ein Mansardenkind aus dem Sumpf seines stammlosen Elternhauses aufsteigt zur Maitresse eines Königs, sein Volk agiert, sein Reich blamiert, – und, nachdem dies vollbracht, zurückkriecht in den Sumpf seines ersten Bändigers in der Mansarde.«
    Wie in einem Schüttelfrost schüttelte sich das Mädchen. » Awfully! You are not a poet! Und dann . . .?«
    Genießend, noch mit den Zähnen genießend, die aus den genußwild geöffneten Lippen hervorschimmerten, lächelte er hinaus in die Flut, in das Licht, in die Schimmer, ins geteilt-ungeteilt Blaue. »Und an Miß Emma Hartes unbegrenzte Fähigkeit, mit der Gottesgabe ihres Bewußtseins in der Gottesgabe ihres Leibes jede schon verrauschte Geburt der Schönheit in Kunst und Natur wiederherzustellen!«
    Getroffen, mit raschen Feuern antwortete ihr Auge. »Und dann?«
    »An alle Frauen der Welt, die Aphrodite ähnlich sind, Artemis, der gliederspielenden, der rosenfingrigen Eos und . . .«
    »Und?«
    Fort von der Brüstung! Nein! Gleich wieder zurück an die Brüstung, raubtierhaft breit hingelegt über sie und dunkel. Und wie Odysseus, als er Polyphem den glühenden Spieß in die ahnungslose Pupille stieß, stach er den Blick seines verwegenen Willens in die schon entwurzelte, gierig lauernde Glut ihres Auges. »Ja, Vater! Die Erde rundum und das Wasser da unten und der Himmel da oben, – feste Grenzen sind sie dem Tritt meines Fußes, der von dem deinigen abstammt. Wer auf der Erde geht, geht auf der Erde! Aber: aus unserer eigenen Innenmacht, die reine Mauer kennt, rufen wir unser Schicksal herab und herauf, das Schicksal unserer eigenen Wirkung! Hier, Vater, – blicke unparteiisch herab! – neben mir steht ein Mensch ohne Schatten. Heute aber, Vater, hasse ich sie, die zu herrschen und ruhig zu sein gewohnt sind im Wahn ihres Zeniths! Laß mich drum, laß mich die irdischen Streifen an die Ferse dieses Fußes hetzen; laß mich!«
    »Und?« stampfte der Fuß mit der Ferse in den marmornen Boden.
    Unsichtbar hob er das Gesicht in das Flüstern des gleichmäßig allduldenden Meers hinaus. »Und all dieses gäbe ich preis, mit sanft höhnischer Hand, wenn ich die Wahrheit – deines Leibes einmal, ein einzigesmal nackt schauen dürfte!«
    »Denn von allem, was schön ist,« fuhr er ohne jede Last des Atems fort hinter der Schlucht dieser schaukelnden Pause, »und was ich von Schönem mir denken kann, bist das Schönste: Du!«
    Verschlingend jeden weniger Sicheren, mit breitem Spalt, klaffte die zweite Schlucht auf.
    »Dichter« stieß das Mädchen heiser hervor, »lügen, nicht wahr?«
    »Du bist das Schönste, nicht

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