Goethe
und . . .«
Wie eine Feder, die losspringt, schnellte das Mädchen empor. »Wenn drei Minuten um sind,« – nicht ein Blick auf ihn hin, wilder Schritt von ihm weg – »aber nicht eher und nicht später kommen Sie mir nach! Diese Türe – take care! Hier die erste, links, – führt zu mir!«
Und war weg!
* * *
»Herr Kniep,« rührte Goethe eine Stunde später, am Ende des ratlos schlotternden Heimgangs, vor der locanda Moriconi, den ratlosen Maler an, »ich fahre morgen früh, pünktlich acht Uhr, nach Paestum. Wollen Sie mitkommen?«
»Herr Kniep,« redete er nach achtundvierzigstündigem Schweigen den noch Ratloseren zum zweitenmal an, – sie kauerten im Boden des Poseidontempels von Paestum – »haben nicht auch Sie die Vorstellung hieher mitgebracht . . .?«
»Welche Vorstellung meinen Exzellenz?« wagte Kniep schließlich zu stottern. »Wenn ich bitten darf: welche?«
»Vielleicht versuchen Sie«, lenkte Goethe ab, – ihm graute – »von diesem Geröllhaufen da drüben die drei Tempel abzunehmen?«
Aber auch das einsame Hineinstarren in diese Tempel machte den zernichteten Geist nicht wieder schlagen in Glauben. So also ward jede kreuztragend erbeutete Spanne Wegs von der folgenden verschlungen? Der Übermut endlich erstrittenen Selbstvertrauens gezüchtigt? Jedes springende Licht wieder abgelöst von der Nacht? Nein, vom Chaos! Vom wohltätigen Feuer des Vesuvs zur Enttäuschung des Gemütes an Tischbein! Von der Ergebung darein auf das luziferisch überlegene Piedestal im Toledo! Vom Toledo in die sittliche Folge der Menschheitentwicklung im Gespräch mit Filangieri! Von dieser makellos edlen Stirn in die Verquickung des Vaters – des leibeigenen Vaters! – mit dem Verbrechen an Miß Harte! »Gehe ich zugrunde in Neapel?« schrie er verzweifelt heraus. »Verliere ich mich in Neapel?« Zum Buckel krümmte die Scham den Rücken. Zum Kriecher den ziellosen Schritt. Wenn ein Tag diese demütigende Zickzacklinie aufwies, was war dann die Summe von allen? Und das: nachdem die Torturen von Rom aufgelöst worden waren in die brüderliche Versöhnung der zwei herausfordendsten Geister, und das Herz – überwunden vom Geiste?
»Wenn ich mich zertreten und aus dem Brei neu schaffen könnte!« Oder: sind diese Peinen die naturnotwendigen Geißeln des Menschen, der wundoffen an Seele und Leib die Vollendung seiner Gestalt sucht?
Oder doch nur Disziplinlosigkeiten unter betrügendem Mantel? »Griechenland! Maß! Zucht! Arbeit!« bettelte er stöhnend, indem er die Basilika umjagte, hinein in die Trümmer.
Aber: Hier war nicht Griechenland! Zum zweitenmal umlief er die Basilika. Dann das Ceresheiligtum. Dann den Tempel des Poseidon. Grau kam er aus dem Tempel zurück. Zur verjagten Gebärde der Gebirge, den immer ungepflegter sich vordehnenden Feldern, ins Meilen-Endlose hinsiechenden Sümpfen, wahllos zwischen Wildpflanze und Kummersaat stockenden Pfützen, Erdhaufen, aufspringenden Buckeln, mattklaffenden Tälern, die keine Fortsetzung fanden, stimmte das Antlitz dieses mittelpunktlos hindämmernden Himmels genau. Nicht Urerde war hier, nicht die Weite des Lichts, in die er pilgern gewollt; nicht das Mal sieghafter Sammlung aller Krausheit der Erde und aller Spiele des Himmels im einenden Sinn eines Kunstwerks. Wie gedankenlose Zufälligkeiten nur ragten die drei Tempel empor in den gleichgültigen Unsinn von Scholle und Wolke. Umsonst diese flehende Flucht!
Trotzdem von neuem zurück stieg er die Stufen des Poseidontempels. Stellte sich zwischen den zwei mittleren Außensäulen der Vorhalle auf. Ungeheuerlich, urfremd wie Hottentottenzeichen, traten das kyklopische Dreieck des leeren Giebels im zerstückten Kranzgesimse, die Triglyphen und Metopen, das Fünftor der Halle zwischen den sechs Säulen ins hoffnungslose Auge. Die Cella war nur noch in den Ecken der Vorderwand erhalten. Hindernislos drang der Blick durch ihre Löcher hinaus in die Opisthodomos. Dicht aneinandergedrängte Reihen ungeschlachter Kegel aus Konglomerat, schienen die Säulen des Umlaufs und innerhalb ihres Zauns die übereinandergeschichteten Säulen, die das Mittelschiff rahmten, den wirr suchenden Blick zur Wiederherstellung der Ordnung anzurufen. Oder, spöttelten sie tückisch, zähle uns wenigstens! Miß den Zwischenraum zwischen uns, den Umfang der untersten Trommeln, die Spannweite der Hohlkehlen, das Verhältnis, in dem sich die Schäfte nach oben verjüngen! Und stelle es wieder her, das Idealbild deiner Seele
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