Goethe
nicht kommen!«
»Ich werde kommen! Aber wie Sie heißen, müssen Sie mir noch sagen!«
Wie von Wirbelwind erfaßt, Fremdeste wieder mit einem Schlag, drehte sie um. Waffen blitzten aus dem glühenden Antlitz, aus der kühlen Gestalt; dieser Mann soll nicht glauben, daß ich das Netz, das er warf, nicht, so bald es mir beliebt, wieder abwerfen kann! »Wenn Sie es noch nicht wissen sollten« – und schon glitt sie hinweg mit diesem klirrenden Lachen –: »Sizilien ist das Land der Phäaken. Und sein König Alkinoos. Und seine Tochter Nausikaa! Und diese Tochter bin ich!«
»Du!« Emporgeschossen in einem einzigen Augenblick wie der leibgewordene Atem des Wunders, stand er zwischen den Säulen der Lüfte. »Tochter des Alkinoos! Du!«
War's – ein Traum gewesen? Die Stimme, – wie ein Gespenst, das versinkt, starb sie dahin. Dumm fielen die Arme zu den Seiten herab. Ziellos suchte das Auge rundum. Waren das, waren das zwei Gestalten von Menschen, die zerfließend im Nebel der Büsche verschwanden?
Ohne Wort, ohne Sinn, ohne Wissen umgedreht, sah er: an der Welle des Flusses wuschen drei Weiber die Wäsche. Die eine war dick; richtige Bäuerin. Die zweite lang und hager; richtige alte Jungfer. Die dritte ein Mütterchen mit Grauhaar. »Mütterchen!« rief er auf einmal, die Arme in der Luft, und tat einen wilden Schritt vor.
Aber das Mütterchen rührte sich nicht, auch als er ein zweitesmal rief. Es hockte, weit und tief in die Welle vornübergebeugt, und schlug mit der Wäsche die Welle!
»Wenn ich jetzt einen kostbaren Ring hätte,« sagte er eine Woche später zu Kniep, als ob keine Stunde inzwischen vergangen wäre, – sie saßen auf den Maultieren, es ging nach Segesta – »ich würde ihn opfern wie Polykrates!«
»Um ihn schon in Alcamo im Bauch eines Vogels zu finden,« lächelte Kniep, »den wir Rindfleischesser in zufälliger Laune auf dem Markt kaufen?«
»Oder wissen Sie etwa,« lachte Goethe noch froher, »warum Homer die Schiffe der Griechen stets schwarz nennt?«
Kniep wußte es natürlich nicht. Aber was verschlug es? Es war nichts mehr auf dem Grunde der Seele, was das eine dem anderen vorzog. Alle Dinge, Geschehen und Sinne der Welt saßen gleichberechtigt einander und neidlos aufeinander in der Brust, die, alles überahnend, nur eines immer sicherer noch fühlte: Das Nest ist gefunden! »Nicht Homer nur! Ich selber! Und drum bedarf es nichts anderes noch, als daß ich eben lebe!« Ganz von selber ward das Leben dann Dichtung! Oder mußte ihm etwa erst diese Landschaft, dies distelreiche Auf und Nieder der elenden Pfade, dies nackte Urbeisammensein von Blut, Blume, Brache, rotem Kleefeld, samtener Weide, aufgetürmtem Fels, zerklüftetem Tal, Höhe, Engpaß und immer wieder aufgehendem Blick auf das Meer die Überlegenheit des Geistes geben, Sizilien als Phäa zu schauen? Umgekehrt, im Gegenteil, war es! Weil er die Wirrsal, den Irrsinn einer inbrünstigen, tückisch immer wieder verzögerten Heimreise erlebt hatte, – weil er Odysseus war , war diese Insel auch Phäa! Ohne die leiseste Furcht, dieses Nest noch verlieren zu können, erklärte er Kniepen unter dem Bergnest Alcamo, an der Blust einer riesenhaften Weißdornhecke, die Offenbarung der Urpflanze. Der junge Mann blinzelte ungläubig. Aber was verschlug das? Am Fuße des Hügels, worauf die Trümmer des Aphroditeheiligtums in panischer Einsamkeit schliefen, schlug er Hornstein aus dem Felsleib. Der junge Mann lächelte kopfschüttelnd. Aber was verschlug das? Der Weg weiter, nach Castelvetrano, ging zwischen hohem, kahlem Kalkgebirg über Kieshügel. Diese Kieshügel nahmen ihn für zwei Stunden vollkommen gefangen. »Aber, wissen Sie,« sagte er mitten aus der Betrachtung heraus, »was mir in Rom einmal – es war bei Cavaceppi, dem Gipsgießer – durch den Sinn fuhr? Der Kanon, den Polyklet aufgestellt haben soll über die Verhältnisse der einzelnen Teile des menschlichen Körpers zueinander, hilft dem Künstler doch nur zur Erzielung des Ebenmaßes. Es müßte ihm aber noch mehr geholfen werden können; muß ihm auch – das ist meine feste Überzeugung – schon in seiner Zeit mehr geholfen worden sein!« Der junge Mann hatte an die Möglichkeit dieser Idee noch niemals gedacht. Aber was verschlug das? Auf einer Wiese, die sich weit über Hügel hinausdehnte und in allen Gluten des Nachmittags funkelte von allen Gluten der Blumen, bemerkte der von Tritt zu Tritt immer freier und heimlicher zu Hause Werdende, – er
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