Goethe
zwei Kleinsten, die sich sträubten, aber zu widerstehen nicht wagten, durch die Tür verschwand, gleich darauf von neuem kam, wußte er ohne Überraschung: das ist Beppina. Als nach langer, neuer Weile, in der es ihm gelungen war, die Farben der Augen und der Haare der Kinder voneinander zu unterscheiden, das Staunen der Nachbarn über sein Dasein mit unbewegtem Blick zu töten, die unsichere Gespanntheit der Beppina durch einen milden Zug um den Mund zu zerstreuen, – als nach dieser peinlichen Weile ein Mann hereinkam, blitzschnell darnach, wie auf Geheiß, die klagenden Nachbarn, einer nach dem anderen, verschwanden, wußte er ohne Bewegung: das ist der Vater. Er war groß, hager, hatte die Gesichtsfarbe des Säufers, den halb herzlichen, halb brutalen Blick des Säufers und einen rauhen, grauen Bart ums volle Kinn und um die backigen Wangen. »Regina!« rief er da freilich, halblaut, unwillkürlich, als er wahrnahm, wie das Kind, das wieder die Hände der Mutter hielt, wie ein Vöglein unterm Niedersturz des Geiers zusammenschrak. Aber Regina hörte ihn nicht. Da senkte er den Blick. Aber nicht in sich hinein. Er hörte, wie immer erregter, je länger die verlegene Gemeinschaft zwischen ihm und dieser fremden Familie wahrte, das Weib und der Mann miteinander tuschelten; und senkte den Blick noch tiefer. In das Gesicht der Toten. Doch war dabei kein Schmerz in ihm. Er beklagte weder diesen Tod, noch das Wehsal der Kinder, die immer wieder, bald hellauf weinend, bald winselnd von einem Dielenbrett aufs andere trippelten; nicht einmal den Gram Reginas, deren Gesichtlein von Minute zu Minute verklärter wurde, so, als sollte ihm gewißlich die Gnade des Mitsterbens werden, sobald es sich endlich ganz im Antlitz der Toten verloren hätte. Auch nicht die plumpe Art des Weibes beklagte er, das der Toten unablässig Reverenz erwies, um sich gebührend bei ihr zu bedanken, daß sie so fügsam rechtzeitig gestorben war. Auch nicht die ungeschlachte Zwiespältigkeit des Mannes, den – das sah er genau! – ein Band zur Toten zog und eines zum vollen, hohen Weibe, dessen Leib den elenden der Leiche schonungslos verlachte. Im Gegenteil: eine Wonne, wie er sie niemals noch gekostet, ein himmelwärts gerichtetes Frommgefühl, nun endlich und auf einmal der ganzen Welt anzugehören und den Kern des Werdens, Seins und Sterbens in seiner stumm geschlossenen Hand zu halten und, weil er ihn so hielt, so allmächtig vor Gott und gegenüber Gottes Werken, Gesetzen und Winken zu stehn, als ein Mensch nur stehen kann, durchströmte seine Brust als tiefster Friede. Sie atmete nicht hastig und nicht müde. Sie atmete in der unsäglich süßen Sehnsucht des Herrschenden, zu schenken; im Dank des Königs an die minder starken, minder gläubigen Knechte dafür, daß er nun ihnen dienen dürfe nach einem heiligen Willen. Den Gerechten, die vor ihn hinträten, nun, würde er Anerkennung zollen ohne eitel Verdienst. Den Lauen, die auf ihrem Wege lässig schlendern, die Sporen des Aufrisses in die verblüfften Weichen schlagen; ohne Zorn. Den Sündern, wissenden und unwissenden, das Antlitz ihrer Sünden vorhalten zuerst, und dann das Antlitz seines jetzigen Friedens; ohne Urteil. »Ob ich auch noch so neugeboren nun,« durchfuhr es ihn wie Strahl, »erleuchtet, Bestätigung findend mit jedem Blick, in jedem dieser Antlitze das Ebenbild des Schöpfers entdecke, in jedem dieser Leiber seine höchste Schöpfertat, und in jedem Menschenwerk, das diesem Künstler nachschafft, die Schaffkraft der Natur, – Natur in allem! – ich fasse dennoch diese Stunde nicht als den Zeitschlag, der mir das Auge aufriß in die Heiligkeit der stillen, ganzen Einsicht, – nein! sondern als den Glockenton, der mich zur Liebe, endlich, neu erzog!« – »Regina!« rief er mit köstlich aufgeschlagenem Auge, »komm Regina! Komm zu mir!«
Der Mann, an seiner Seite das Weib, zuckten wie gebissen zusammen.
»Regina,« wiederholte er ganz ungestört, »komm her zu mir!«
Regina, unter den drohenden Blicken des Mannes und des Weibes, ließ die gelben Hände der Mutter sinken, wandte das Auge vom Totenkopf, der die schmalen Lippen fest zusammengepreßt hielt und zwischen ihnen den Tod des letzten Seufzers, zum Fremden hin, und wußte nicht, sollte sie ihm folgen oder nicht.
»Regina,« rief er darum, recht absichtlich laut, zum drittenmal, »komm her, Regina!«
Und wirklich: wie auf Füßchen, die nicht anders konnten, lief das Kind zu ihm hinüber.
»Bete den
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