Goethe
wette . . . . .«
»Was wetten Sie?« schrie ihm das Weib, am Ende seiner Kraft, sich zu beherrschen, ins Gesicht, »was wetten Sie?«
Ein dämmeriges, stummes Staunen, von seinem völlig unbewegten Blick her, schwebte durch die Totenstube.
»Ich wette,« sagte er fest, »wenn ihn jemand auf Herz und Nieren gefragt hätte: Wählst Du die Tote da samt ihren Kindern, oder dieses Weib? – er hätte ohne zu überlegen geantwortet: die Tote mit den Kindern da! Denn er sündigte nicht gerne. Aber es fragte ihn niemand, – und so sagte er, zwiespältig schmunzelnd, auf dem Rande zwischen Flucht und Untat: »Geh hinauf und schau, ob sie nicht etwa aufgewacht ist unterdessen! Und das . . . .« – und er erhob sich. Ohne noch zu wissen, daß er das Kindlein noch an seiner Brust hielt, stand er auf, der Stuhl fiel um, das Kind, irrsinnig, wimmerte. Gleich, wie erwacht, fand er es wieder, nahm die Händchen unerbittlich fest in seine Faust, sah mit Triumphblick ohnegleichen, wie die Tote ihm erlöst zu nicken, zu lächeln, ja zu lachen anhub, der Mann weiß im Gesicht ward, das Weib sich wie ein schwerer Fruchtast aus dem Fenster beugte, die Kinder in die Wände wuchsen; und entschloß sich, rasch, mit starrem Lächeln noch zur letzten Lüge. »Und das hat mich verdorben; für mein ganzes Leben hingeschlachtet zum Krüppel an Herz und Seele! Nicht nur – kommen Sie vom Fenster zurück!« herrschte er das Weib an, »drehen Sie sich um und schauen Sie mich an!«
Und wahrhaftig: wie eine Statue, die plötzlich gegen allen Willen ihres Leibes Leben bekommt, gehorchte das Weib, während der Mann, im Entsetzen aufgereckt auf seinen reuebangen Knochen, ganz allein im Kreis der Totenluft sich auf den Boden drehte. »Nicht nur, daß ich die Heimat, den Vater und die Geschwister verlor in jener Sekunde! Ich verlor die ganze Welt! Gott und den Teufel! Alle Menschen! Alle Länder! Und mich selber! Und – fand nichts mehr je wieder!« Und niedergebeugt in einem Rausch von Liebe auf das erstarrte Kind an seiner Hand: »Regina! Liebling!« flüsterte er mit schwanken Lippen, die Arme noch einmal wie um den bittersüßen Sinn der Welt um diesen Ton des Schöpfers heiß geschlungen, »mehr – konnt ich heut nicht tun für dich. Wirk du nun weiter! Bleibe rein, und – liebe!« – »Es gibt für Menschen,« flehte er, mühsam losgerissen vom Kinderleib und streckte beide Hände dem Mann, dem Weib zu, die entgeistert stierten, »für Menschen, die sündigten, nur eine Rettung: die Sünde gutzumachen! Wer mag denn richten? Wer befehlen? Das Leben läuft nach seinem Willen. Aber . . .« – er riß die Tür auf, stand wie zwischen Ja und Nein, wie zwischen Welt und Himmel in der Schwelle, – »aber: morden darf man nicht! Den Leib – vielleicht? Die Unschuld – nie! O, tut es nicht!«
Und war hinweg.
Als er, bei tiefer Nacht, eintrat in die vertraute Stube, wo die Freunde über Zeichnung, Stichen, Büchern, Farbentöpfchen saßen wie jeden Abend, strahlte er. Mit einem Schein jedoch, der ihre Fragen streng zurückwies, die Augen ihnen weit aufriß, die Pulse zittern machte im Erraten: Das ist Goethe!
»Was ist?« stieß Bury endlich zag hervor, nahm ihm den Mantel ab, den Hut. »Was ist? Was ist geschehen?«
»Licht ist geworden!« antwortete er leise, immer heller strahlend, und stützte sich mit Eisenhänden in das Holz des Tisches. »Ganzes, volles Licht.«
»Tasso?« fuhr Moritz jauchzend auf.
»F–aust?« Schütz verwegen.
»Ach, was!« Mit Bubenhand ergriff er Reißbrett, Blatt, Tuschschale, Pinsel, Stein und warf sie eines nach dem anderen weit von sich. »Der Mensch! Der Menschenleib! Das Ebenbild! Das höchste Werk! – Ich werde modellieren.«
Wie Donnerschlag! Die Lampe grinste wie ein Irrlicht auf. Die Zeichnungen, die schöngemalten Landschaften: Berge, Meere, Buchten, Bäume, Herden, Kirchen, flache Körper erloschen, wurden blind. Und rund, ein Leiblein, gewogt, gewellt, gemuldet, gebuchtet, nach Gesetzen? außerhalb von Gesetzen gebildet? stieg aus dem trunknen Auge nieder in den Tisch, entfaltete in lichter Nacktheit seine Glieder, verwarf den Raum, schloß zu hilfloser Starrheit die verblüfften Münder, zu armer Ohnmacht die gebannten Blicke, und lächelte . . . . . und weinte.
»Regina!« lachte, weinte selig er, sank wie gefällt von Glück und Leid in den verborgenen Sessel nieder. »O, Regina!«
»Wir wollen,« brachte Meyer nach totenstiller Pause klar heraus und schnellte an den
Weitere Kostenlose Bücher