Goethe
mehr?«
»Jetzt bin ich's wieder.« Ja! Es brauste, rauschte, zog und strömte laut und weit in seinem Blute: Des Schöpfers Ebenbild in meinen Armen! Da, an meiner Brust, sein höchstes Werk! Mit großem, in jede Ferne leicht gerichtetem Blick ersah er staunend, wie Raffael unterging, sein geliebter Guercino, seine Carracci, sein Guido, sein Claude und sein Poussin verblichen, das Paradies der Landschaft von Neapel, von Sizilien, von Rom verschimmerte, und einzig übermächtig, höchste Leistung der Natur – und darum auch der Kunst! – der Leib des fremden Kindes aufstieg über den geringeren Prächten und mit Gottvaters, mit Michelangelos heiliger Stimme triumphierte: »mein schönster, – und mein liebster Atem!« Und doch nicht helfen können? Linderung nicht vermögen? »Glaubst du, Regina, wenn man dem Vater ein paar hundert Zechinen gäbe, damit er . . . . .«
»Damit er . . .?«
Wie ein zurechtgewiesenes Kind lächelte er. Ja, welche Dummheit, hier mit Gold zu klimpern! »Oder, – ja! Doch! Höre! Wenn man sie – die Zechinen mein' ich – der Beppina gäbe?«
»Der Beppina?« Ein eigentümlich schrilles Lachen aus dem Mund des Mädchens. »Die verdient sich Geld genug. Mehr als genug!«
»Oder wenn ich vielleicht den Caporione aufsuchte und dafür sorgte, daß du von zu Hause fortkommst zu guten Menschen? Oder in ein Kloster?«
»Das ist unmöglich!« Heiße, schnelle Antwort. »Für die drei größeren Geschwister sorgt die Giulietta, für die fünf kleineren aber ich. Die brauchen mich. Und bräuchten mich erst recht, wenn der Vater wirklich . . .«
Ton in meinen Händen! fühlte er in süßem Zwiespalt, süßen Herzschlags, zum zweitenmal. Geht mir die Menschheit plötzlich auf, wie sie in Millionen Gestalten wandelt? Die Menschenwürde, wie sie auf den Stirnen selbst der Krüppel steht? Und der Gipfel der Kunst: aus dem rund nachgebildeten Leibe des Menschen die Seele des Menschen blicken zu lassen, – Gottvaters schönsten, liebsten Atem? Und unbändig, mit Augen, die das Feuer in seinem Geiste immer feuriger erfassen, mit Armen, die immer weiter findend fortschreiten wollten in der Geburt dieses märchenhaften Lichtes, sehnte er sich nach dem schönen, fremden Leibe, der ihm wie das Symbol des noch Verborgenen, Unerkannten in diese Geburt hineingezaubert worden war. Schnell aber, brennend rot, als ob er sich der Sehnsucht vor der fremden Seele schämte, scheuchte er die Glut weg aus den Augen, aus den Armen. »Komm, Regina!« sagte er zärtlich, nahm des Kindes Hand, zog es von der Bank auf und führte es aus der Kirche.
Doch schon, als sie die Treppe von Sankt Peter in den Platz niederstiegen, Pilger, die da und dort standen, unverhohlen neugierig den vornehm schlanken Mann angafften, der mit dem barfüßigen Mägdlein ging, ergriff das Kindlein die Angst. »Wohin wollen Sie mit mir?« fragte es zitternd. Er nickte nur und zog es weiter. Dunkel ragten die Paläste des Borgo über die Schlünde der Gassen in den seidenen Himmel auf. Bei Sant' Onofrio bog sich ein Lorbeerbaum vor goldroter Mauer in der Brise eines lauen Windes. In einem hohen kahlen Fenster leuchtete der Kopf eines betenden Mönches. »Gott spendet den Trost, um den man bittet, nicht immer gerade zur Stunde, da man ihn sich erwartet, Regina!« sagte der Fremde da zum Kinde; in seiner Seele sangen alle Quellen seiner Ahnen, klangen alle Hymnen aller Welten, spannte sich die Weite der ganzen Schöpfung über dem Bild eines einzigen Menschenkindes, über eines einzigen Menschenkindes Seele. »Aber, wo man ihn verdient hat, spendet er ihn einmal doch gewiß!« Zum zweitenmal jedoch blieb jetzt das Kindlein stehen. »Wohin führen Sie mich?« Bang verzog sich das Mündchen. Die Hänge des Janikulus sahen durch den Flor der eindämmernden Büsche und Rasenwellen und Pinien wie durch langsam südenhin ziehende Schleier die gleissende Woge des Tiber; darüber hinaus auf die Stadt hinab, die in der Liebkosung des scheidenden Lichts lächelte wie ein Geist, der sich in allen Wunden und Sünden des Lebens die Reinheit seines ewigen Ziels bewahrt hat; und darüber hinaus hoch empor in den smaragdenen Himmel. »Wohin, sagen Sie,« schluchzte das Kindlein gepeinigt, »wollen Sie mit mir gehen?«
»Gehst du nicht nach Hause?«
»Sie wollen doch nicht . . .«
»Du mußt Vertrauen zu mir haben, Regina!«
Aber nur noch entsetzter zog sie das Händchen aus seiner Hand. »Nein! Jetzt geh ich allein! Und Sie kehren um!« Und
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