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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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weil er nur geheimnisvoll lächelnd deutete, beschworen ihn die flackernden Augen: »Aufstehen machen können Sie mir die Mutter ja doch nicht!«
    »Aber sehen will ich sie, Regina!«
    »Unter keiner Bedingung!« Atemlos preßte sie die Hände gegen die Brust. »Niemals! Fremde dürfen sie nicht sehen!«
    »Ich bin kein Fremder!«
    »Die Giulietta wird Sie gar nicht hereinlassen!«
    »Sie wird mich gewiß hereinlassen.«
    »Nein!« Und verzweifelt zog sie nun, riß sie an seinen Händen. »Sie können ihnen doch nicht lang und breit erzählen, wie Sie mich in der Kirche gefunden haben? Das kommt ja gar nicht vor!«
    »Es kommt aber eben vor! Hab doch nicht Angst, mein Kind!« Und rasch, weil er die Liebe, die wie ein Meer in ihm drin wallte, nicht mehr zähmen, die Sonne der Erkenntnis nicht mehr löschen konnte, die Auge, Herz und Geist in sagenhaft neue Tage ihm hinwandte, hob er das Kindlein vom Boden auf, auf seinen Arm und trug es. Ton in meinen Armen! brauste der Triumph in seiner Seele, als sich das Leiblein wortlos dankbar schmiegte. Des Schöpfers Wachs, aus dem er Menschen macht. Des Schöpfers Menschenform, rund, gewellt, gemuldet, gebuchtet, nach Gesetzen? außerhalb von Gesetzen gebildet? dem Finger erfühlbar, wenn er ehrfürchtig ist . . . .
    »Er ist ehrfürchtig!« frohlockte er. »Regina,« fragte er leuchtend, als sie hinter San Pietro in Montorio ankamen und er allein den Weg nicht finden konnte, um in die Wirrnis von Trastevere hinabzusteigen, »wo? Wo soll ich gehen?« Sie streckte wie im halben Schlaf das Händchen aus, hinab nach den schmalen Hütten, die im Grau des hügelverdeckten Sonnunterganges hoch beisammenhockten; fuhr sie ab, suchte; fand endlich. »Da, wo auf dem Söller die vielen Kittelchen hängen, da wohnen wir. Das rote gehört Giovannbattista, die blauen der Annina und dem Giorgio, den vom Checco hab ich gestern noch gewaschen.« – »Nicht weinen, nicht mehr weinen!« flehte er, selber weinend, weil das Köpflein wild in seine Brust zurücksank. »Vertrau doch! Hoffe! Glaub, Regina!«
    Aber als er nun wahrhaftig mit ihr vorm Tore stand, sie in den Boden niederließ, stieg ihm mit einemmal der Zweifel auf: darf ich? Denn so, als ob es ihn nocheinmal mit all seinem Weh beschwören wollte, nicht darauf zu dringen, trat das Mädchen in die Schwelle und wehrte ihm den Weg. Die volle Flut zerstochener Liebe, die schwere Flamme ihres Kinderunglücks stieg in die Wangen auf, und bettelnd gegen ihn – der doch ein gütiger Herr war? – hoben sich die Ärmlein. Er aber, bleich in seinem Zweifel, lächelte und schritt vor, weiter. Im selben Augenblick kam polternd die zerrissene Stiege nieder, die in enggewundenem Schlund aus dem Gestank des Flurs hinaufführte in die Armut der fünf Stockwerke, ein Priester; im Nu, mit einem Satze war das Kind bei ihm. Im nächsten, so schien es Goethen, stand er selber oben, im vierten Stockwerk, in der mittleren Stube. Mit plötzlich wahllos hervorgestoßenen Fragen war Regina an den Priester herangetreten, der das Chorhemd überm dicken Leibe und ein schwarzes Samtbarett überm unrasierten, fleischigen Gesichte trug. Der Priester aber, mit einem eiligen Streicheln über ihren Scheitel hin hatte er sie, gemütlos weitergehend, einfach beiseitegeschoben. Das nahm ihr Wort, Sinn und Gebärde in Einem. Lautlos, wie im Traum, schlich sie die Treppe empor, dem fremden Manne, ohne sich noch umzublicken, voran. Und jetzt – stand er da. Vielmehr: er saß. Auf einem Strohgeflechtstuhl in der fernsten Ecke der Stube. Knapp gegenüber der aufgebahrten Mutter. Und schaute. Die Stube war voll von den neun Kindern, von Nachbarn, die wechselnd kamen, gingen, von laut hervorgebrachten Klagen, unverhohlenen, ja üppigen Tränen, Seufzern, Gebeten, Kerzendunst und Kerzenlicht. Eine grüne Tür, zu einem Spalte offen, führte in das Nebengemach. In diesem mußte das Fenster offen sein. Denn immer wieder, wenn der Dampf der Wehklage, der Geruch der Tuberosen und Myrthen wie dicke Wolke in die weiße, gesprungene Decke aufstieg, kam aus dem Spalt herein ein Windhauch, trieb den Todesatem zum Fenster hinaus, das zu Häupten der Leiche klirrte. Und dann sah er: den Tiber wallen und den Aventin im Abendlicht verdämmern. Als plötzlich ein großes, starkes Weib vom Typus der montanara eintrat, Regina, die, über die Mutter gebeugt, der Mutter starre Hände hielt, diese Hände losließ, sie und die anderen Kinder eigenartig weiß das Weib anstarrten, das Weib mit den

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