Goethe
Höcker stieg und fiel wie Lastschiff in der See. Der ganze Mensch, weil die Lider, zwanghaft zugepreßt, die Augen schlossen und Röcheln, steigend laut und lauter, aus der Brust kam, fühlte schaudernd: verächtlich schwebt der Himmel über mir. In unbarmherzigem Weiter-Höherfluge des Lenzes Wunderfülle von mir weg. Zurück weicht angewidert, exklusiv, das sanft prunkvolle Frontviereck der Villa. Die grüne Erde, die verzweifelt meine Sohlen klopfen, rollt tückisch unter meinen Knieen fort. Die Welt, die ganze Welt, – ja, alle Welt verleugnet mich, das Scheusal!
»Weil Ostern kommt,« brach die gekrampfte Brust endlich ihr Grauen aus, »ist mir so bang! Weil Christus wieder aufsteht . . .«
»Die Stunde des Lenzes!«
»Nein, Christus!«
»Die Stunde des Lenzes!«
»Mensch!« schrie der Gefolterte mit wahnsinnigem Blick. »Du schaust auf mich herab wie Satan selber! Hörst du denn nicht, wie meine Sünden in den Himmel schreien?«
Kein Zweifel! Licht und sicher blickte Goethe rundumher. Die ganze Welt verleugnete das Nein, das Nichts in dieser Seele. Kein Schöpferodem nahte sich versöhnend, seine eigene Schöpferschuld bekennend, dieser armen Seele. Nur das Blut, das neben ihrem Leibe rollte, wallte auf. Wirklich? Umschließt das Herz der Kreatur den ganzen Schöpferwitz vom Alpha bis zum Omega? Ist Gott wahrhaftig nur, solange dieses Herz ihn fühlt? Ist drin in diesem angstverzehrten Menschlein: die Morgenröte Asiens, des Nordpols kalter Schatten, der Liebe schönste Blume und ihr Dornenkranz? Geburt, Vermählung, Kindschaft, Tod, Staubwerden, Auferstehen, Apoll, verklärter Heiland, Ur-Blatt, Wirbelknochen, Wasserschaffung und Vulkan, – der ganze Kosmos? Und alle Form nur Täuschung? Und die Seele alles?
Und hieß es Faust sein, wenn man diese Allmacht spürt? Ein Menschenherz, in Qualen, schindet sich, würgt gierig lebenlang geschluckten Staub aus seiner übersatten, endlich blitzerhellten Kammer, lechzt nach dem Gottwort: »Ich vergebe Dir!« – und neben ihm ein anderes, Johann Wolfgang Goethens, lacht heiter auf, fühlt jeden Mut in sich, ins Reich der Mütter neu hinabzusteigen, und – schafft am »Fauste« endlich, endlich, wieder?
Und – ist dasselbe doch wie dieses hier?
»Laß dich nicht stören, Checchino!« sagte er mit frommer Jugendstimme. »Es ist, was ist, ein Wunder. Aus einer zaubervollen Nacht kam ich in diesen wunderreichen Morgen. Aus meinem Zufall in den deinigen. Wir nutzen ihn! Laß dich nicht stören, wenn ich jetzt an einen riesigen Kater friedvoll denke, an eine Hexe, die siebenzehn Warzen auf der Nase hat, und an den Becher voll von Frühlingstrank.«
»Mir diesen Becher! Mir , gebt mir zu saufen! Macht mich noch einmal leben!«
»Was war, das war! Nur mutig immer weiter, heißt es drüben!«
»Und wenn der Weg verrammelt ist?«
»Dann, wenn's dir wohltut, beichte!«
»Euch?«
»Die schwerste Sünde!«
»Schlagt Euch den Alphons von Liguori auf; da drin ist keine, die ich nicht getan!«
»Die schwerste sag!«
Der Zwerg spuckte aus. Die Finger rissen den Ziegenbart. Die Wangen zuckten mit dem Bart. Das Auge, wie an einer Schnur, die unerbittlich zog, lief in den Kelch der blauen Anemone hinüber, die mitten unterm Amselsang sich grünumschaukelt nicht bewegte, aber deutlich winkte. »Es zog mich gestern abend zu einer guten Tat,« krächzte er endlich. »Bring's über dich, sagte ich mir ernsthaft vor, und geh zum Franceschinochen hinüber! Und leg ihm ein Stück Bärenzucker in die Finger! Der Franceschino ist meiner Maddalena Enkel. Vier Jahre. Vom Vater her mit der Neaplerkrankheit behaftet – oder von der Mutter her. Wahrscheinlich wohl von beiden. Die Augen Blut und Eiter. Die Lunge Kehrichtklumpen. Nicht ein Glied mehr ganz. – Ich ging. Zio! blöckte er mir schon, als ich noch im Türspalt war, entgegen. Vieni zio, porta dolce! Er roch den Zucker schon von weitem, das verdammte Luder! Ich mach die Tür zu, krieche näher . . .«
»Und?«
» . . . schlug ihm die ausgereckte Pratze nieder, daß er – krepierte. Keine Stunde später.«
»Gottesmord!«
»Ich weiß es!« Wie ein erschossener Vogel blieb der Schrei im Pinienzweige hängen. »Weiß es! – Ergo. Also?«
»Und dennoch ist es nicht die schwerste Sünde! Was hast du mit dem Stein der Weisen angefangen?«
Der Krüppel sprang empor. Ein Ladstock wuchs in seinem Leib. Dünn, gaunerlienig, preßten sich die Lippen aufeinander. »Ich hab ihn nie bekommen.«
»Du hast ihn mir am
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