Goethe
stahlt ihn sonst! Einmal müßt ja auch Ihr der Jungfrau ein Altärchen bauen! Einmal! Ich bau es heut. Arrivederci! «
Nicht auf sah Goethe von dem Blatt. Die Wände stürzten, jede Torheit fiel. Zu vollem Eins vermählten sich zwei Welten. »Sei still, du!« rief er lächelnd auf in den erschlossenen Himmel, dem Vogel zu, der ohne Hindernis auf goldener Leiter in die Höhe stieg und triumphierend sang: die Stunde der Geburt. »Sei still! Die Stunde war schon! Jetzt – sing mir mein Leben!«
Und faltete das Heft zusammen, schob den Stift ein und erhob sich.
Trug die Erde? Ja! Festes, starkes Gehen!
Wehte der Himmel?
Ja! Süßer, blutlebendiger Atem!
Rollte das Ganze?
Ja! Rom hinter den verglänzten Zweigen, Welt voll Wunder, aber ohne Rätsel, rollte!
»Endlich, endlich – bin ich!«
Ruhvoll – lacht nicht rundum mit weisen Sternen der vertraute Meister? – hielt er vor der Villa Medici ein; in seinem Rücken rief ihn jemand. »Ein Eilbrief!« rief es. Moritz war's. »Vor einer Stunde abgegeben,« meldete der Erhitzte. »Ich ahnte, wo Sie wären. Ist's nicht die Schrift von Herdern?«
Goethe nickte. Steckte den Brief gemütlich ein. Nahm gern des Anderen Arm. Ach, Menschen gingen. Die Stadt liebt sich im Sonnenschein. Der Mandelbaum, das Pfirsichbäumchen sprießen. Gras wächst so jung. Der Vogel singt noch heller. Geräusch des Lebens aus den tieferen Häusern. Der Himmel weit. Das Land angstlos hinausgedehnt in seine Grenzen. Draußen: Kuppel von Sankt Peter. »Ach, lassen Sie doch!« bat er demütigst erschrocken: das Heft war ihm entglitten, Moritz hob es auf.
»Ge–zeichnet?«
»Nein. Ein Stück vom »Faust«.«
»Vom – alten?«
»Nein. Jetzt gemacht. – Pst!« Streng riß er an Moritzens Arm. »Nicht reden!« Und noch aufrechter, stärker und gewollter schritt er. Der unerbittlich trotzige Rhythmus, der ihm Geist, Herz und Leib durch alle Engen und Weiten getrieben hatte, monatelang, schwang lind in diesem Schritte. »Ich habe,« begann er endlich mitten in der Straße, »den Umweg jetzt vollendet. Für jeden andern war es sicher leichter, ans Ziel zu kommen. Ich aber mußte ihn eben gehen. Bei Apoll habe ich angefangen, und bei Apoll kam ich wieder an. Der Schluß ist: Erstens, das Rezept paßt. Ja, es paßt! Jedoch nur für das Handwerkliche; für die Prämissen. Hinter dem Kunstwerk aber steckt – genau so inkommensurabel, wie der Schöpfergenius hinter dem Gebäude der Welt – der Genius des Künstlers. Nur, wer ihn hat, kann das Rezept benutzen! Zweitens aber,« – er zog den Brief aus der Tasche –: »auch wenn eine Statue, ein Gemälde Erzeugnis der Naturkraft ist, nichts anderes als Natur, wie alles andere auch, – diese Kraft muß eben dann im Menschen stecken, der die Bilder oder Statuen schafft! Und in mir steckt sie nicht. Ich bin ein Dichter.«
»Nicht reden!« befahl er schamrot, weil Moritzens Gesicht von ungeheurer Sonne überstrahlt ward, und riß den Brief auf. »Ja, von Herdern.«
»Moritz!« schrie er leichenblaß auf; als ob im Brief drin stünde, die Mutter sei gestorben, bebte er. »Lesen Sie! Da! Das! «
»Immerhin,« las Moritz, jagenden Herzschlags über das Blatt gebeugt, » gewährt er dir auch alles, was du begehrtest, die volle Freiheit in der Wahl der Geschäfte, denen du dich widmen willst: er wünscht doch, dich jetzt bald zu sehen. Bald! «
»Ich war zwar vorbereitet« hauchte, ins Herz getroffen, Goethe. »Aber . . .«
Schaudernd lehnte er sich an den Pfeiler des Tors.
»Wir wollen oben,« brachte Moritz endlich heiser heraus, »beraten, ob nicht doch ein Aufschub . . . .?«
Vom Pfeiler fort, zurück in die Straße, trat Goethe. »Nehmen Sie mir das Heft hinauf. Ich kann jetzt nicht empor. Ich muß noch . . .«
»Was?«
Nur eine Handbewegung, und er lief schon. Ja, jetzt! Wo? Wo war jetzt der Meister, der mit weisen Sternen rundum lachte?
Auf der Treppe, die zum Kapitol hinaufführt, machte er zum erstenmale Halt. »Das Auge wenigstens muß ungetrübt bleiben!« Allein das Auge, ob es noch so tapfer schaute, sah nur den Meister rundum lachen mit allen seinen weisen Sternen, heiter lachen. Nachmittags, er hatte nirgends zu Mittag gegessen, lief er den Hang des Monte Mario hinauf. Im Ohr die ungeheure Melodie, die in den heißen Weg vom Vatikan zurück über den Petersplatz geklungen hatte; » popule mi, quid feci tibi? « rief sie mit ungeheurer Klage aus der Kirche ins süße Blaß des Karfreitaghimmels hinaus. Und draußen, wo
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