Goethe
nieder, maß er geißelnd den Andern. »Ein guter Mensch wählt nicht das Böse! Gott oder Teufel muß man wählen!«
»Nein! Gott und den Teufel!«
»Christ oder Heide sein!«
»Nein! Christ und Heide!«
»Dann: brennt! Verbrennt! Und zähneklappert! Ewig!« Und nur noch größer wurde er; noch überlegener; aber wich schon. »Wer auszog, um den Himmel zu erringen . . . . . .«
»Ich tue, was ich kann!«
»Im Viehischen!« Daß es noch einmal rauschte, drehte er um; schlug in der Heidenluft das Kreuz. »Herr, richte du ihn!«
* * *
»Ich habe,« sagte Goethe nach dieser Nacht in der Morgenfrühe des borghesischen Gartens zum buckligen Checchino, »gestern einen Mann getroffen, der mich für Zeit und Ewigkeit verdammt hat. Was sagst du?«
Der Checchino war Gärtner im Kloster auf der Trinità und Gärtner bei Angelica; er kannte ihn gut. Im borghesischen Garten hatten die Franziskaner drei Freibeete: eines mit Artischocken, eines mit Spargel und eines mit Erdbeeren. In diesen Beeten arbeitete Checchino. Er war ein Zwerg, hatte einen Dromedarhöcker, spitzigen Kopf und grauen Ziegenbart. Niemals ging er ohne braunen Frack mit Knöpfen, die das Wappen der Lambertini trugen, und niemals, ohne die schmierigen Strümpfe unterhalb der Hosenschnallen mit dreifarbigen Bändern zugebunden zu haben, die den Boden schleiften.
»Checchino, also? Hm? Was sagst du?«
Umständlich humpelte der Zwerg aus seinem Beet heran. Im Grase, seitlich vom Platze, worauf Goethe saß, lag ein Heft. »Schreiben Sie?«
»Nichts,« lächelte Goethe.
»Zeichnen?«
»Auch nicht.«
Mit gespreizten Beinen stellte sich Checchino vor ihm auf. Gierig zielte das kleine Verbrecherauge in das heitere, große. »Sagt,« krächzte er endlich, lauernd, »was macht Ihr mit Eurem Leben?«
»Du! Ist's eine Nachtigall, die da singt?«
»Amsel!« antwortete der Krüppel, ohne sich zu rühren. »Los also: was macht Ihr mit Euerem Leben?«
Ist die gesamte Menschheit in diesem häßlichen Zwergleib eingewachsen? Schaut mir aus ihm die ganze Welt ins Auge? Der Himmel aller Erden aus dem Himmel über diesen Pinien auf mich nieder? Und aus den Halmen, steigt mir aus den Halmen auf das Lied von aller Erde in die Brust? Der nie erfragte Sinn von allem, was da schafft in dunklem Drang? Und pocht? Und pocht?
Woran?
»Glaubt Ihr an Gott? Sagt! Schnell!«
Ja! Alles pocht! Ja, alles pocht! Woran jedoch?
»An den Teufel?«
Mir braust ein Meer im Grund des Herzens drin. Und wer's vermag, mit seinem Pochen den Damm zu sprengen, der dies Meer noch hält, – dem springen Fluten . . .
»An nichts?«
. . . Flut, Fluten, Bäche, Ströme, rot vom Blut der Menschheit, Glut der Himmel, Mark der Erde, Mut der Geister! »Sag: pochst du , Checchino?«
»Sagt Ihr! « Vertraulich beugte sich der Zwerg zu ihm herab. Sein Atem stank. Die Kleider stanken. Auch das Gemüt roch zweifelhaft. »Was ist denn nach dem Tode? – Beichtet Ihr?«
Diese Amsel sang. Pocht diese Amsel? Wird die Welt geboren?
Wie ein Kind, auf dessen Leib der Kopf des Riesen sitzt, dem alles Schwarze und Weiße bis ins Letzte schon bekannt ist, lehnte sich Checchino an die fremden Kniee. Frechheit im gespitzten Auge; schnell drauf, im angstvoll aufgerissenen Auge, Bangnis. »Ich – fürchte mich!« Dumm tat der breite Mund sich auf, verleugnete mit ungeschickten Zähnen das gewitzte Auge. »Hie und da entsetzlich! Wenn ich dem Pater Benedictus beichte, – das ist nichts! Einem Lumpen, der jede Sünde wider den heiligen Geist getan hat, müßte man beichten! Luzifer selber, – wenn dieses Luder von einem Teufel einen noch einmal ausließe! Hört!« Den Spitzkopf schief erhoben, blinzelte er mit unverschämten Lidern. »Ihr, mein' ich, kennt Euch aus? Magie, Kabbala, Satan, Blutpapier?«
Gewiß! Die Welt ist schön gebaut! pries Goethes großes Auge, aufhorchend andachtvoll dem ungestümen Laut, der aus den Pinien, Eichenkronen, den Himmelsflügeln, Strahl im Waldgewirk, der fernen Villa, Blumen, Duft und Frühe ganz in sein Herz herein, aus seinem lichtgewordenen Sinn in alle Welt hinaussang. »Groß gebaut! Apoll: ein schönes Werk. Die Transfiguration: ein großes Werk. Die Messe Palestrinas: ein hohes Werk. Der Zwerg jedoch vor mir: ein Wunder! Wer aber, dem im Kern von seinem Wesen das Wesen aller dieser Werke pocht, muß nicht Herr, Meister werden wollen über alle sie? Ein Nehmer, Zwinger, Schlinger und Verzehrer aller . . .«
Faust?
»Siehst du, Checchino,« sagte er, –
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