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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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sie starb, da lebte schon die Fahnengier der Vorbereitung auf den Ostertag, die Pforten, Fenster, Tore warteten auf Kränze, die Metzger schliffen ihre Messer, die Bäcker kehrten ihre Öfen aus, die Mädchen bügelten die Festgewänder, in zappliger Eile schusterten die Schuster, schneiderten die Schneider, schmiedeten die Schmiede, ein Duft floß in der Luft, der Mandelbaum, der Pfirsichbaum, die Myrthe und der Lorbeer wiegten sich vom fernsten Weh herüber zu der nächsten Wonne. »Meister,« schluchzte er, unterm Pfirsichbaum der höchsten Vigna knieend, in die werdende Glorie hinauf, »was hab ich dir getan, daß du mich jetzt abrufst? Nach diesem Morgen?« Der Meister aber, wehlos, lächelte mit allen seinen weisen Sternen: »Jetzt bist du doch geboren? Geduldete ich nicht lange?« Da sprang er auf und lief von neuem. An der Ripetta stand er lange. Mit Brust und flachen Händen an ein Haus gepreßt. Plötzlich kletterte er den Damm zum Fluß hinab, hockte nieder, zog Schuhe und Strümpfe aus und steckte die Füße in die schmutzige Woge. »Nun noch die Hände!« rief die Stimme, die ohne Unterlaß auf Rettung sann in der betäubten Brust, »versuch's! Die Hände!« Aber während er die Hände in die Welle tauchte, sang von dem Engel des Hadrian-Grabmals herüber der große Meister: »Kind, was soll das noch? Ergib dich drein! Du bist ja schon geboren!« Da fuhr er mit den Händen aus dem Wasser. Schnell in die Schuhe! Und nach Hause! Wenn da kein Gott hilft, hilft vielleicht ein Mensch! Und wahrlich: er fühlte sich für einen Augenblick gerettet, als er die Freunde genau versammelt fand wie jene Jünger um den Herrn, der scheiden mußte. Mit Wollust las er Trauer in den Mienen. Er lächelte sogar, als einer nach dem andern vor ihm stehen blieb, die Hand ihm drückte, daß sie wehtat, und es dabei zu keinem Blicke brachte. »Hören Sie!« stieß Bury wild hervor, mit aller Mühe schleuderte er die Tränen ab, die in ungeheurem Zorn seit Mittag immer wieder aus den Augen sprangen. »Wir sind heut abend alle bei Angelica. Halbzehn. Ich hab's bestellt. Es muß mit allem Raffinement ein Trick, und wär' es der infamste, gefunden werden, der Sie uns da behält! Sie sind, magari, krank, todkrank, ja sterbend. Oder . . .« Da tat die Stimme nicht mehr mit. Vernichtet, die Arme fassungslos gebreitet, fiel er an Goethes Brust. »Sie dürfen nicht weg! Um keinen Preis! Das gibt's nicht!«
    »Gibt's nicht!« schrie er in den Boden stampfend: Goethe hatte sich von ihm gelöst, ihn weggeschoben.
    »Schwören Sie, – ich kenne Sie! – daß Sie heut abend kommen! Bei Ihrem »Faust!««
    Der steinerne Mann jedoch, er hörte überm Scheitel dieses Jünglings, über den Häuptern aller treuen Seelen nur den Meister lächeln, mit seinen weisen Sternen lächeln: »Wenn ich dich rufe, wer kann dich noch halten?« Und floh von neuem.
    Als die Sonne sank, lag er im Gras des verfemten Friedhofs der Ketzer vor der Pyramide des Cestius. Wohin ihn überall der Weg geführt und wie er ihn zuletzt hieher geführt, verstand er nicht mehr. Hier nämlich, rundum, lächelte kein Meister mit den weisen Sternen! Von San Paolo fuori herauf schnarrte die Karfreitagsratsche. Mit schwachem Flüstern beugten sich die Pinien, wenige, lieblos liebloser Einsamkeit gelassene Pinien dem Aventin entgegen. Bleich, sein zu lebendig übertagtes Blau in die sanftopalne Ruhe der Ferne rettend, stand der Himmel über dem rostbraunen Grabmal. Blumenlos, in sandig nackten Wellen, schwiegen die Gräberhügel. Plumpe Steinstelen, gebrochene Kreuze, ein Genius aus trüber Werkstatt, unordentlich im Gras. Der süße Schlag der Stadt so ferne. Die traurig öde Wüste der Campagna so nahe. Im Rücken, glanzlos fahl mit Schilf und Rohr, vom Tiberrauschen her noch müder eingeschläfert, der Monte Testaccio. Ein froher Karren auf der Straße draußen? Gelächter läutete in lustigen Stößen. Mann und Weib und Kinder?
    Schon vorbei!
    Wie mit dem sinkenden Licht sank ihm das Haupt tief in die Brust herab. Verlor er die Besinnung? Betraf das alles ihn? Stand dieser Abend entwicklungsinnig in der Reihe seiner Abende? Tat er nicht einen Riß in das Bisherige, so grausam unvermittelt, nie mehr heilbar, daß die gesetzgerecht gezimmerte Vergangenheit in Trümmer barst und das Gesetz nun Chaos schien? Die Zeit in Rom, – wie: war er viele Tage nun in Rom gewesen und, weil jetzt dieser Abend sie zerschnitt, war er nicht hier gewesen? Wer knüpft nun dies Vergangene an die

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