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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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streckte die Beine weit von sich in den Sand aus.
    »Und?« fragte Herder nach langer, rieselnder Totenstille; der Mond war vollkommen hinter Wolken verschwunden.
    »Ich bin fertig.«
    Endlich, nach ewigem Zögern, mit spitziger Stimme, sagte Herder: »Ich sehe vor allem aus dieser Beichte, daß ich, seitdem ich lebe, und ob ich nun Kandidat der Theologie, Bibliothekar, Chirurgiestudent, Lehrer, Pfarradjunkt, Eutinscher Reiseprediger, Bückeburgscher Konsistorialrat oder Weimarscher Generalsuperindentent war, stets nur das unpersönliche Werkzeug eines allgemeinen Intelligenzdrangs, – gewissermaßen ein Akzessorium des absoluten Begriffes ›Schreibtisch‹ gewesen bin. Währenddem du in erster und letzter Linie gelebt hast.«
    »Du hast natürlich zu deinem Leben ebensowenig Distanz, wie ich zu dem meinigen.«
    »Jedenfalls wäre ich bereit, jeden Augenblick mit dir zu tauschen.«
    »Du bekämst eine Gemischtwarenhandlung gegen eine vollständige Hauseinrichtung.«
    »Ein saftiges Künstlerleben gegen einen zwitterhaft nebulosen Gedankenbetrieb!«
    »Du bist schon Herder! Ich bin vorläufig, wie schon gesagt, nur eine Enzyklopädie, deren Name zufällig ›Goethe‹ ist.«
    »Aber dieser Name« – wie der Phönix aus verlodernder Asche klang es auf, feuerheiß –, »steht eben über ›Götz‹, ›Werther‹ und ›Faust‹!«
    »Und seither, elf Jahre lang, über Mist, wie du sagtest!«
    »Und die ›Iphigenie‹?«
    »Ist noch nicht gemacht! Soll ich erst machen!«
    Leidenschaftlich, alle Pein der Selbstzerfleischung, des Neides, der Eifersucht, der Scheelsucht vergessend, schoß Herder aus dem lauernden Kauern empor. »Lächerlich!« Mit wilder Faust schlug er an die Brust, daß es dröhnte. »Ich fühle mich als die Fratze der Schöpfung gegenüber dir! Denn du bist wie sie selber! Allgegenwärtig und unberechenbar! Ich will nicht behaupten, daß ich die Idee ›Künstler‹ an sich anbete. Ich bin, aus düsterem Schraubstockleben, zu sehr an das Moralische gewiesen; Tutiorismus wahrscheinlich! Aber ein Künstler ist eben nicht Fleisch und Blut gewordene Folge, wie der Gelehrte, zum Teufel, sein muß! Wenn der Gedankenspion sich zerreißt vor Gram, weil er vor drei Jahren mehr Wahrheit gefunden hat, als er heute findet, – der Künstler darf sich grinsend die Hände reiben, wenn der Quark, den er heute macht, dem Kunstwerk, das vor zehn Jahren gelang, ins Gesicht schlägt. Wenn er um zehn Uhr dichtet, um zwölf Uhr sich wollüstig sattfrißt, um drei eine Tabakpfeife schnitzelt und um sechse ein Weibsbild betrügt. Denn er lebt richtig erst außerhalb der Regel!«
    » Ah ça! «
    »Wer soll denn besser wissen, was ein Künstler sein darf , als ich, der's im Fegefeuer erfahren hat, daß er keiner sein kann?! «
    »Aber bisher dachtest du anders!«
    In den Boden stampfend: »Hast du bis heute je so ex imo zu mir geredet?«
    »Ich wendete keinen Hauch ein gegen das, was du sagst, wenn es eben schon ausgemacht wäre, daß das Leben, das ich da aufsagte, ein Künstlerleben war.«
    »Was denn sonst?«
    Als ob Wolken ohne Zahl, schwärzeste, grausam verballt, niederstiegen und ihm grausam den Geist wieder umnebelten, von dem er mit den zitterndsten Händen soeben den Schleier gerissen hatte, beugte Goethe sich vor. »Das Buch der Natur lockt mich, je älter ich werde, immer unwiderstehlicher. Die Lust, zu zeichnen, zu bilden, – so oft unterdrückt, noch öfter vergangen – lebt von Jahr zu Jahr ungestümer auf. Nimm nun an, es entschiede sich in der nächsten Zeit klar, daß ich zum bildenden Künstler oder zum Forscher geboren bin!«
    »Um des Himmels willen! Mensch!«
    Die Arme hart kreuzend über der Brust, weil ihm noch niemals so schonungslos das Rätsel des eigenen Wesens war entblößt worden, noch niemals so qualvoll wie ein Albtraum die Pratze der Not diese Brust gerüttelt hatte, fuhr Goethe fort: »In jedem dieser zwei Fälle stünde dann fest: die Jahre bisher sind, – wenn nicht völlig verloren, doch zum mindesten nicht mit Bedacht auf den Zielpunkt gewonnen. Freilich: das Gleiche käme auch dann heraus, wenn sich entschiede, daß ich doch Künstler bin, und war, von Anbeginn an. Aber es wäre auch möglich,« –wie ein Gemarterter lächelte er, wandweiß – »daß die großmächtige Mutter weder das Eine noch das Andere, noch das Dritte mit mir vorhatte. Dann bliebe mir nur übrig: ein möglichst runder Mensch zu werden. Rund aber wird man . . . . . . . Ah, wenn ich noch einmal so

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