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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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viele Jahre, als ich schon lebte, gewisse, vor mir hätte! Dann wär' mir nicht bang!« Jagend rang die entsetzte Brust. »Aber nimm an: ich hätte nur noch zwei, . . nur noch eines, . . nicht einmal eines! Ein halbes! Du, wenn du stirbst, hinterlassest der Welt ein in den Grundlinien schon fertiges Gebäude deiner geistigen Person. Ich: – Verheißungen! Ansätze! Nichts sonst!«
    »Und die unzähligen Zeugnisse deiner ungeheuren Wirkung in Deutschland?«
    Verzweifelt starrte Goethe in das unheimliche Dunkel, aus dem Herders Auge lauernd emporflackerte. »Und wer hat in seiner frühesten Jugend schon gerufen: ›Ich gehe durch die Welt. Was habe ich in ihr, wenn ich mich nicht unsterblich mache?‹!«
    Daß sie laut krachte, sprang Herder von der Bank auf. Wollust! Unaussprechliche Genugtuung! Befreiung! Endlich, zum erstenmal stand es da, schwarz auf weiß, daß die Geier des Zweifels an sich selber auch diesen – so wohltemperierten! – Geist zerfraßen! Allerdings – und dieser Gedanke, zum Teufel! zerbrach wieder die Wollust der Befreiung – ihn nur deshalb zerfraßen, weil auch er unsterblich werden wollte, trotz ihnen; also noch immer auch nicht zufrieden war. »Im dreizehnten Buche meiner ›Ideen‹,« stieß er wie im Schwertkampf mit dem scharlachenen Nebenbuhlergeist seiner zwiespältigen Seele hervor und riß den Zerrissenen von der Bank auf und zurück in die Allee, »stelle ich, nach der Darlegung der Geschichte der Griechen, folgende Sätze auf. Erstens: Was im Reiche der Menschheit nach dem Umfang gegebener National-, Zeit- und Ortsumstände geschehen kann, geschieht in ihm wirklich. Zweitens: Was von einem Volke gilt, gilt auch von der Verbündung mehrerer Völker untereinander; sie stehen zusammen, wie Zeit und Ort sie band; sie wirken aufeinander, wie der Zusammenhang lebendiger Kräfte es bewirkte. Warum sich also mit Betrachtungen quälen, . . . . . . .«
    »Ich quäle mich gar nicht!« kam's wie Sturzbach der Reue aus dem schwindlig Dahingezogenen.
    » . . . . . . die kraftlos sind gegenüber der Erkenntnis, daß die Prämissen, und nur die Prämissen den Schluß bedingen? Denn die zwei Sätze gelten, wie für die Völker, so auch für die Menschen! Wie die ganze Menschheitsgeschichte Naturgeschichte ist, so auch die Entwickelung des Einzelnen! Man wird, oder man wird nicht! Und da plagt sich dieser Naturafrikaner . . . .«
    Wie der Blitz, der schon getroffen hat, aber dem Donner noch nachlauert, der die Erde zerstampfen wird, riß Goethe sich los; sie standen vor seinem Quartier. »Ich würde nicht den verschlafensten Gedanken an diese Dummheiten vergeuden«, spie er schneidend heraus, »wenn ich nicht ganz genau wüßte, daß diesen Sätzen, am Schluß der Geschichte der Menschheit, ein ganz andrer folgen wird!«
    »Und der heißt?«
    »Daß der Zweck der Menschennatur Humanität ist, und daß – Gott selber mit diesem Zweck sein eigenes Schicksal in unsere Hände gelegt hat!«
    Fassungslos, Schrecken, starrte Herder ihn an.
    »Denn das hieße soviel«, fuhr Goethe wie der teuflischeste aller Henker fort, »daß es mit der reinen Naturgeschichte in der Menschheitsgeschichte nicht weit her ist! In die fatalistische Natur käme die moralische Determination . . . . .«
    »Apage!« Keuchend, mit zerbrochener Stimme,. wehrte Herder entsetzt ab. Grausam in seine zwei Teile: Natur und Wille zurückzerrissen, die so schön schon gekittet gewesen, verendete vor dem ermordeten Blick das geliebteste Werk. Wie eine gewirbelte Marionette. drehte er sich um sich selber, entglitt in das Dunkle.
    »Du! Höre! Warte!« girrte Goethe, mitvernichtet mit dem Vernichteten, in die Finsternis nach. »Wie wär's, wenn wir morgen früh ein bißchen zusammen spazierten, um das auszu– reden? «
    Aber keine Antwort mehr kam.
    Mit prachtvoll gezieltem Stoß, knirschend, triebe Goethe den Schlüssel ins Schloß. Riß das Tor auf. Schlug es zu.
    Als er es wieder öffnete, wieder aus ihm hervortrat, hüstelte die verrostete Kirchenuhr drüben: Drei Uhr früh. »Herr Geheimerat von Goethe?« sprang hurtig ein schläfriges Stimmchen vom Bock des Wägleins herab, das schwarz und herbstfröstlich in der Gasse draußen wartete. »Ist's richtig?«
    »Los!« rief der Gefragte heiser und zeigte sein Gesicht nicht; warf die Mantelsäcke hinein unters finstere Dach und stieg nach.

Drittes Buch
    Freie
    Wind weht um den Helm des Campanile. Blauer Seewind. Frischer Seewind. Spiel aus Luft und Takt aus

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