Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
Vom Netzwerk:
käme er blank unmittelbar aus Gottvaters quellendem Munde her? Und schwebt sie nicht, in seiner Brise, die Heiterkeit der Allgegenwart? Sind seit der Schöpfung Millionen von Jahren verflossen? Trennen die Meere die Erdeteile, Berge und Flüsse die Länder, Sonne und Sitte die Menschen? Nichts trennt! Ein einziger Blick, getan mit freigelöstem Auge von der Warte über einem neubeschrittenen Schollenbug, – und die Vergangenheit versinkt; es stürzt der Grenzpfahl ein, und jedes Unterscheiden zwischen dir und mir zerschmilzt im Kuß der Gegenwart; des Augenblicks! Was ist Venezia da unten, rund herum um den scharfen Blauschatten des Turms? Reliquie der Geschichte? Symbol des Vergehens? Eine Stadt an der Adria? Italienisches Mirakel? Nur Leben! Nichts als Leben! Das ewig gleiche, ewig neue Leben! Oder hören diese Glocken je zu klingen auf? Im Gegenteil! Was der blaue Seewind nur geweckt hat, reißen sie mit ihren vollen Tönen erst hervor ans Licht! Das Licht ist: Oktober des Südens. Rauchlose Helle. Badend in der Flut dieser opalenen Klarheit, dringt das Auge die Flimmer des Sonnuntergangs hindurch in den Norden des Kanals. Findet: San Rocco, San' Staë, Santa Chiara, San Geremia und, am Ausgang des Canareggio, San Giobbe. Der Kanal zieht zwischen Nachtblau und Grellblond seine geplätscherten Windungen aufwärts. Schiebt links Paläste und Klöster mit verdufteten Gärten hinaus ins Gewitter der Strahlen. Läßt rechts die Wirrnis ihrer triebhaft willkürlichen Formen, zwischen hundert pfützenschmal blitzenden rivi , der wildgehäuften Mitte der Stadt, dem Rialto. Das Auge, besessen, läuft höher. Im Norden vermählt sich, in triefenden Kaisteinen, gesprungenen Firsten und geschwungenen Simsen, der Prunk des mastengetragenen Westlichts mit der geklärten Durchsichtigkeit, die von der terra herabrinnt. Aber, hinübergeeilt an die glasklare Küste der Misericordia, und vor den Türmen der Santi Apostoli, von San Giovanni Chrisostomo und Santi Giovanni e Paolo, wie vor junihaft rosenrot-akeleiblauem Garten stumm atmender Steine, wogt die Welle, von keinem Pfeilstrahl der Sonne geritzt, nur von der Gnade des Widerscheins angehaucht, in mild östlicher Unschuld hinüber an die Inseln Murano, Burano, Torcello und weiter. So unschuldig mild, daß das Auge nun ruhig hinabzieht übers Arsenal nach dem Lido, in der größeren Woge von rollendem Purpur die schwersüdlichen Glanze des Meeres auffischt, – und zuletzt, gesättigt zu völliger Rundheit, zurückpilgert über Chioggia, Pellestrina, Malamocco und San Giorgio Maggiore in den länger gewordenen Schatten des Turms; und in das Läuten der Glocken. Denn diese Glocken . . .
    Jauchzend riß er den Hut vom Haupte: Jetzt läuten sie alle!
    Feiernder Brust atmete er, als sie eine nach der anderen verklangen, vor der smaragdgrün aufwachsenden Weite. Unten im schwarzblauen Pflaster des Markusplatzes klapperten die hohen Absätze lockender Dirnen. Vor dem Palazzo ducale stampfte der Schaftstiefelschritt der hellebardeblinkenden Wachen. Auf der riva Schiavoni schlichen, abgetretener Sohlen, schwarzradmantelige Nobili. Aus dem Schlauch der Merceria scholl hebräisch gedehnt der habeilige Ruf ihrer Händler. Vom Schwalbensöller des kerzeschmalen Hauses hinter den Prokuratien kam gezwitschert das Lied eines Weibes, das Wäsche aufhängte; vom viel tieferen Doppelbogen des Fensters im Palazzetto daneben der knatternde Lärm zügellos gepeitschter Betten. Die Uhr in San Marco schlug dröhnend. Hahnschrei! Taubengeflatter! Schlank hallend wird die Luft aufgewirbelt. Das Banner des Evangelisten auf der Piazzetta knallt gierig. » È? « schreit toll der Gondoliere, den das Auge nicht sieht, im verborgenen Engpaß. » Stalì! « antwortet bassig gemütlich der zweite. Vom Ponte dei sospiri kommt, Geheimnis, der Laut scheu ausgesetzter Gondel. An dem Marmor der Salute bricht sich gurgelnd die Woge. Jede Hochzeit, die von den Töchtern des Regenbogens gefeiert werden kann mit den Söhnen des Regenbogens, leuchtet noch einmal, farbiger magisch, empor aus der in den Abend hinsinkenden Stadt. Und sofort, wie das zweite Märchen von Buntheit, folgt der Chor aller Stimmen der Menschen und Dinge. Aber lächelnd übertönt ihn die Woge, die brandet an dem Marmor der Salute; brandet an allen marmornen Stufen, umschaukelten Pfählen, überalgten Schwellen und gequaderten Mauern der Stadt. Und es zerbrechen die Farben. Versterben die Klänge. Und die Woge allein rauscht!
    Bis ein Schlag

Weitere Kostenlose Bücher