Goethe
Duft. Die Stadt zu seinen Füßen, – gewiß: die vecchia putana ist sie jetzt, wie Piero sagt. Das Weib, das nicht vergessen kann, wie prunkvoll schön es war; wie heiß und üppig es gelockt, geliebt, gelacht und triumphiert hat. Das sich im letzten Strahl hinsinkender Glorie auf einem Bett von Sünden und von allzu kunstvoll lang erhaltener Jugend noch immer schminkt, pompöses Lever erhält und aus vergilbten Briefen – vor blindgewordnen Spiegeln – vergangne Lust liest. Umsonst, natürlich! Der Leib ist ausgelebt, das Herz erstickt, im Antlitz rinnen Runzeln. Und die Kanäle stinken. Goldüberzug erblaßt. Die Pfähle morschen. Stein röchelt in Verwitterung. Das Bett sogar, auf dem sie sterben wird, ist faul. Ein Wind jedoch, ein Strich von diesem blauen Wind, – und sie steht auf! Das faule Bett, elastisch, wirft sie ab. Sie lacht: Provinzen erschrecken. Sie hebt die Arme in das fließend goldenrote Haar: Prinzen, echte, stammeln Wollust. Sie öffnet, siegsicher schon, die Lippen, nur ein einzig Wort
Unwiderstehlich, aus einem Volk von Herzen, reißt der blaue Wind das Lied: » La regina, la regina tu sei del mar'! «
Und sie ist siebzehn Jahre wieder!
Frohlockend überm Deutschenkopf, der inbrünstigen Auges vom Campanilesöller aus dies Fest der Runde trinkt, stürzen sich die Himmel in die unerschöpflichen Höhen unbegrenzter Freude. Und Freude ist, im Nu von neuem, des Lebens einzige Moral! Gott hat die Welt geschaffen, daß der Einzige, der ihn ahnt, der Mensch, sie hell genieße! Denn wo, wo hat Beschwernis, Bangheit, Herznot, Angst noch einen Sinn, so lang ein Wind in solchen Schmeichelwellen lächelnd leicht von Griechenland herüber, von Afrika herauf und von den Alpen abwärts rollen kann? Die Welt ist groß, ist nicht nur, wo man stockend hockt! Wüßt' man das stets, man hätte keine Flausen! Wird jetzt in Altona oben ein gemeiner Mord getan, – in Mekka unten betet zur selben Stunde das weiße Lämmchen eines heiligen Wilden zu Mohammed empor! Und weint in Tibet drüben jetzt ein unrettbar unglücklicher Idealist den letzten Tropfen Kraft aus, weil er den Busen Massilamas nicht bewegen kann, – in einem Weingartstück in Ungarn oben zwingt rücksichtslos der braune Tokaierbub das sonst so wilde, plötzlich sanft verstummte Mädel zur Wonne in den Boden nieder.
Oder – ist's nur die Freiheit in der entflohenen Brust drin, die so urtrostvoll alldurch sehen macht? So weltrundweit? Und gegenwärtig?
»Ich bin noch nicht, Orest, wie du bereit«, flüstert schelmisch fast der Mund in den verwegenen Wind hinaus.
»In jenes Schattenreich hinabzugehn!
Ich sinne noch, durch die verworrnen Pfade,
Die nach der schwarzen Nacht zu führen scheinen,
Uns zu dem Leben wieder aufzuwinden.
Ich denke nicht den Tod; ich sinn und horche,
Ob nicht zu irgend einer frohen Flucht
Die Götter Rat und Wege zubereiten.«
Und hingerissen, Dank für tausend Götter, liebkost der Blick die Berge des Nordwestens, zwischen denen der See von Garda die ersten Verse wie langgereifte Früchte von den befreiten Lippen pflückte. »Ich denke nicht an Tod; ich sinn und horche« . . . . .
Rasch fuhr der Blick hinab: eine Glocke hatte angeschlagen.
Wo, in welchem Turm schwingt diese Glocke?
Aber während das Ohr noch suchte, mitten im Tönen des Klangs, den der blaue Wind wie Vater den Sohn empfing, schoß eine Gondel von San Moisè heraus, hinterm Palaste Giustiniani in den Kanal herein.
» La regina, la regina tu sei del mar'! «
Nun, hinter der Maria della Salute, verschwand sie! Und jetzt – die Glocke hat eine zweite gefunden, irgendwo, die sie begeistert begleitet – kommt sie wieder hervor, in der Giudecca.
» La regina, la regina . . . . . «
Wenn eine Glocke in Weimar läutete, – dumpfer Schlag, pochende Mahnung: memento mori! Diese Glocken, – wie vom Wind getrieben, nackt, sehnig, warm, Schuß Natur in jeder Ader, beugte sich der Selige über die Brüstung. In den Glast hinaus, der unter der Sonne überm blauen Zackenkranz der Alpen von Vicenza und von Padua die hundert Kuppeln, Campanili, Kreuze, Kelchkamine, Flachdachplatten wie Fluß ununterbrochen strömenden Goldes überrieselte. Diese Glocken klingeln an die Schale des Leibs, die biegsam gegenzittert; an die Membrane des Bewußtseins, das lachend, im Augenblick, antwortet: memento vitae!
O! Arme ausgebreitet! An dieses Herz, an dieses todentrungene Herz, ihr Alle! Alles! »Vita! Vita! Vita!«
Denn: lebt er nicht, der blaue Wind, als
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