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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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auf. Lief in den Kies hinaus. Kehrte aber gleich wieder zurück. Jetzt gab es keine Flucht mehr! »Ich habe von dir geredet«, sagte er unumwunden, »um von mir reden zu können.«
    »Und ich also richtig vermutet.«
    Die Hände mit aller Gewalt an die Ohren gepreßt, setzte sich Goethe zurück. Rechteckig wurde sein Gesicht in der erbarmungslosen Spannung, die das befehlende Gehirn jedem Muskel nun auflegte. »Meine dichterischen Arbeiten sind durchwegs Konfessionen. Will ich mir also mein Lebenswerk vorstellen, so brauche ich nur die verschiedenen Stadien meines Lebens zu betrachten.« Unbändigbar zerriß die Scham jedes Wort. Sträubte sich der Abgrund der Seele gegen den Zwang der abringenden Stimme. »Beginnen wir also!« Aber erst nach einem ewigen Räuspern, das die Kehle mit geizigen Schleiern umflorte, begann er: »Meine Kindheit, – darüber ist nichts zu sagen. Ich war ein begabtes Kind; Mutter, Vater, Vaterhaus wirkten also nur logisch stärker als normal auf mich ein. Trotzdem empfand ich niemals ein so starkes Heimweh, eine so zwingende Sentimentalität für dieses Vergangene, daß sie mich am frischen Weiterleben in der Gegenwart irgendwie gehindert hätten. Leipzig bedeutete, wahrscheinlich, nur den Sprung aus dem übersättigten Psychischen ins ungebunden Physische. Als ich krank heimkehrte, fühlte ich nicht Reue darüber, bewußt und voll genossen zu haben, sondern nur Wut über die Krankheit, die mich an der schnellen Korrektur hinderte. In Straßburg, – was in Straßburg vorging, weißt du ebensogut wie ich. Es war nur selbstverständlich, daß der Mann, in dem der Produktionstrieb zum erstenmal die Hülle der tappenden Ahndung durchbrach, die Liebe zum Weibe als Medium für den Ausdruck dieses Triebes ergriff. ›Götz‹, ›Faust‹ und ›Werther‹, – überhaupt meine Zeit bis zum Einrücken nach Weimar, mußten also damals geboren werden.« Gütig übergoß die Nacht das blutrote Antlitz. »Von den Jahren 1772 bis 1775 ist nichts anderes zu sagen, als: konzentrierten Auftrieb schien ich damals zu haben. Merck skeptizierte, Lavater sanguinisierte mich, die neuen Lieben brachten das witternde Bewußtsein von der Frauenseele im allgemeinen, vom ewig Weiblichen, das ich über diese Lieben hinaus noch brauchte, zur besseren Reife. Die Anwaltschaft hinderte mich nicht, der Vater ging mir aus der Rückschau, aber auch mit Bezug auf Mutter und Kornelien auf die Nerven; Mutters allzu allgegenwärtige Geistesgegenwart verstimmte mich leise; Frankfurt war öde; Wetzlar absolut nur im Rausch genießbar; Darmstadt sehr absichtlich geistig; Klopstocks Grenzen wurden mir voll deutlich; Wielands Zaun noch klarer. Meine gesamte menschliche Umgebung preßte ich auf Geben; die gesamte äußere benutzte ich als Nehmer; meine Inkommensurabilität, in Frankfurt, mit der gesamten Welt erschien mir plan wie eine Tischplatte. Es entstanden meine drei Werke, und es wurde ›Egmont‹ vorbereitet. Ich machte mir nicht die geringsten Gedanken über die Zukunft meiner Entwicklung. Wenn ich ein Bild brauchen soll: ich war wie der Pfeil während des Flugs.«
    Scheu setzte er für einen Augenblick aus.
    Nach einem tiefen Seufzer fuhr er fort: »Ich wollte nach Weimar – aus dunklem Durst nach äußerer Welt! Es war geplant: Anschluß dieser Hemisphäre an die andere, die ich bereits besaß. Nun leidet mein Leben, dem Auge des ferner Stehenden, daran, daß es kein Mißlingen kennt.«
    »Du hast eine Menge Mist geschrieben!«
    Beherrschung! Schweigen! Nach langer, bitterer, widerspruchsvoller Pause: »In Weimar entfaltete ich drei Tätigkeiten: ich arbeitete als Beamter, als Dichter, und als Naturbetrachter.«
    »Und als Hofmann, Hofnarr, Laubfrosch, Politiker, deutsches Kulturdenkmal, – die Liebe erst noch vergessen!«
    Generalbeichte! Nicht wehleidig werden! Morgen fliehst du! »Ziehe ich einen Querschnitt durch die elf Weimarer Jahre«, stieß Goethe schwer hervor, »so finde ich: mähliches, bewußtes Versiegenlassen der Quelle, die vielstrahlig, aber doch meersicher von Straßburg an gesprudelt hatte. Das Interesse an Kunst überhaupt breitet sich fächerartig aus. Sammelt sich aber nicht mehr in einem Hauptstrang. Die Sucht nach verständlicher und technischer Bewältigung des Verwaltungsgeschäfts erhebt sich vor diesem allgemeinen Kunstwillen als tätiger Vordergrund. Die vorhergegangene Zeit wirkt nicht anknüpfend und überleitend. Die Phantasie, die am besten dann waltet, wenn das Gehirn über allzuklare

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