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Goethe

Goethe

Titel: Goethe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert von Trentini
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wenn du die erste Flöte blasen dürftest!«
    »Und du würdest uns alle miteinander erwürgen, wenn du das nicht dürftest!« Zittern machte Herdern die Empörung. »Du bist ein Sonntags-, und ich ein Werktagskind! Da liegt der Hund begraben!«
    Hinter niedrigen Giebeln, bleich und frostig, kam ihnen gegenüber der halbe Mond hervor.
    »Es gibt keine elendere Mißgeburt«, knirschte Herder, »als einen Geist, dem die Kleinigkeit von ein paar Lot dazu fehlt, ein Genie zu sein. Es wäre ihm besser, er wäre als der Instinkt eines Kohlenbrenners geboren!«
    »In diesem Gedanken liegt dein ganzer frevelhafter Undank gegenüber der Natur.«
    »Und so redet der Reiche zum Armen, von dem er verlangt, daß er das weise Prüfungswalten des christlichen Herrgotts bewundere!«
    Jetzt sprang Goethe auf. Jetzt konnte er einsetzen! Jetzt frisch heraus mit der Generalbeichte! »Ich habe mich in den letzten Tagen ausgiebig damit beschäftigt«, entschloß er sich ohne weiteres, »mein bisheriges Werk unter Etiketten zu bringen!« Voll tönte die gezwungene Stimme. Den Kies mißhandelte der plumpe Birkenstock. »Und es, um zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem deinigen verglichen. – Ja!« donnerte er, weil Herder impertinent hüstelte; »weil ein anderes ebenbürtiges Vergleichsobjekt nicht in der Nähe war!«
    »Und was ist herausgekommen?«
    Als ob ihn das innerste Innere händeringend noch einmal anflehte, es doch lieber nicht zu entblößen, wenigstens nicht vor diesem König der Taktlosigkeit zu entblößen, erzitterte Goethe.
    »Es ist dabei herausgekommen, daß dein Werk schon heute einem gerade und folgerichtig aufwärts gerichteten Baume gleicht, dem jedes Kind die klaren und fortschreitenden Epochen des Wachstums ablesen kann, – das meinige aber einem Garten, in dem Rosen und Krautköpfe und Papierblumen wirr nebeneinanderwuchern.« Gewandt fuhr er Herdern in die prompt abwehrende Hand. »Zählen wir einmal deine Hauptwerke in zeitlicher Reihenfolge auf: ›Fragmente über die neuere deutsche Literatur‹, ›Kritische Wälder‹, ›Über den Ursprung der Sprache‹, ›Über Ossian und Shakespeare‹, ›Älteste Urkunde des Menschengeschlechtes‹, ›Die Stimmen der Völker‹, ›Vom Geist der hebräischen Poesie‹, – dabei lasse ich erst noch alles, was eigene Dichtung ist, vorläufig beiseite . . .«
    »Um mich auf diesem Gebiet«, wetterte Herder schlagfertig, »mit einem einzigen deiner Gedichte endgültig totzuschlagen!«
    » . . . um den Blick nicht von der Wurfkraft und Zielweite abzulenken, die diesen Arbeiten für die gesamte Kultur der Menschheit zukommen! Denn du weißt es sehr gut, mein Lieber, – und nur deshalb wagst du so wegwerfend zu reden! – wie dich schon das erste dieser Werke überall, wo noch der Geist regiert, berühmt gemacht hat!«
    »Und gelesen!«
    »Gelesen? Tausende haben meinen ›Götz‹ und meinen ›Werther‹ gelesen, und wer redet noch heute von mir als dem Dichter? Auf das Weiterschieben des Rads der Gesittung und der Gesinnung kommt es an, nicht auf den Lärm, den die keuchende Arbeit dabei macht! Und wer schrieb denn schon seinerzeit, als er übers Wasser nach Frankreich fuhr, fünfundzwanzigjähriger Gimpel: ›Geschichte, Erziehung, Psychologie, Literatur, Altertum, Philosophie, Künste, Moden usw. . . . . . . das sei mein Lebenslauf, Geschichte, Arbeit?‹
    Das schriebst du! Indes ich in jedem Jahr . . . was? in jedem Monat, jeder Woche je hundert wieder neue Programme entdeckte! Und bist du bisher auch nur in einem Einzelnen von der Idee dieses Riesenhauses abgewichen? Dessen unterster Sockel der klar analysierten Individualität der deutschen Volksseele gilt, dessen Dach aber alle Völker der Erde überspannen kann? Oder leuchtet dir etwa nicht ein, daß die ›Ideen zur Philosophie der Geschichte‹, je weiter du darin fortschreitest, immer fester dieses Dach bilden werden?«
    Kein Zweifel, – Herder zögerte einen Augenblick – kein Zweifel: diese Worte taten wohl! Aber gerade deshalb durfte man sich Widerspruch dagegen leisten. »Es ist außerordentlich gnädig vom Herrn Geheimerat von Goethe«, meckerte er boshaft, »einem armen Skribifax, den er sich äußerlich schon durch ungezählte Beweise der Huld verpflichtet hat, auch innerlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich bleibe aber vorläufig noch neugierig darauf, welches Motiv dieser ahnenden Gerechtigkeit zugrunde liegt?«
    »Du bist und bleibst eine Kröte!« Angewidert sprang Goethe

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