Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
Garderobiere, das war
es, was ich spürte.
Er
zeigte nach links. »Dort schauen wir von hinten auf den Vorhang, auf der
anderen Seite sammeln sich bereits die ersten Zuschauer. Ich denke, wir gehen
jetzt wieder hinunter.«
Wir
bedankten uns herzlich. Ein außergewöhnliches Erlebnis, da waren Hanna und ich
uns einig. Als wir wieder an den Garderoben vorbeikamen, begegneten uns zwei
Männer. Der eine war groß und gerade, hatte extrem kurz geschnittene graue
Haare und trug eine Nickelbrille. Der andere war kleiner, leicht untersetzt,
eine Allerweltsgestalt.
Liebrich
blieb sofort stehen. »Frau Wilmut, ich bin sehr erfreut, Sie zu sehen!« Er
streckte Hanna die Hand entgegen. Sie klammerte sich an ihre Tasche. Ich
merkte, dass sich ihr Oberkörper zurückneigte. Statt ihrer gab ich Liebrich
schnell die Hand. »Guten Abend, Herr Liebrich!«
»Guten
Abend, Herr Dr. Wilmut, was verschafft mir die Ehre, Sie hier in den heiligen
Hallen begrüßen zu dürfen?«
»Ich
habe dem Ehepaar Wilmut die heiligen Hallen gezeigt«, ging Heckel dazwischen.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?«
Liebrich
warf Heckel einen missbilligenden Blick zu. »Ich bin der Impresario von Frau
Hartmannsberger, die heute den Part …«
»Ich
weiß, wer Frau Hartmannsberger ist. Wer hier im Haus wüsste das wohl nicht. Und
er?« Christoph Heckel zeigte auf Liebrichs Begleiter. Die Stimmung wurde
ungemütlich.
»Mit
Verlaub, das ist mein Sekretär, Joachim Waldmann.«
»Hallo«,
sagte ich und gab auch ihm die Hand.
»Guten
Tag, Herr Dr. Wilmut, ich freue mich, Sie kennenzulernen!« Seine Stimme klang
freundlich und angenehm.
»Ich
denke, wir sollten jetzt in den Zuschauerraum gehen, damit wir nicht zu spät
kommen«, sagte ich. »Herr Heckel, wären Sie bitte so nett, uns den Weg zu
zeigen?«
»Gerne!«
»Auf
Wiedersehen, meine Herren!«
Ehe
Liebrich oder Waldmann etwas sagen konnten, rauschten wir die Treppe hinunter.
Unten angekommen stießen wir direkt auf eine Gruppe von Personen, die gut
gelaunt mit Sektgläsern in der Hand unseren Weg versperrten. Es dauerte einen
Moment, bis ich erkannte, dass es unsere Freunde waren. Während Hanna von Siggi
und Ella begrüßt wurde, nahm Benno mich zur Seite.
»Was
ist los mit dir, Hendrik?«
»Wieso,
was soll schon los sein?«
»Na
bitte, ihr kommt die Treppe heruntergestürmt, als sei jemand hinter euch her,
du rennst mich fast über den Haufen und hast diese beiden Falten zwischen den
Augenbrauen.«
»Welche
Falten?«
»Da,
über der Nase, immer wenn sich diese Falten bilden, hast du ein Problem, ich
kenn dich doch!«
Ich war
überrascht. Noch jemand, der mich zu kennen glaubte. Die erste Fanfare ertönte.
In Weimar gab es keine Klingel, sondern eine spezielle Fanfare, die die
Zuschauer bat, ihre Plätze einzunehmen. Hanna und Sophie winkten. Ich zögerte.
»Es
geht um Liebrich.«
»Was
ist mit ihm?«
»Wir
haben ihn eben getroffen. Er ist ein Schleimer.«
Benno
strich sich durch seinen Bart. Sein Gesichtsausdruck bekam etwas Ernstes.
»Klingt sehr hart, meinst du nicht?«
»Kann
sein … zumindest hat er so auf mich gewirkt.«
Diese
Taktik hatte ich von Hanna gelernt. Sie behauptete nie, dass jemand eine
negative Eigenschaft besaß, sondern nur, dass dies so auf sie wirkte. Es war
ein großer Unterschied, ob man sagte: Er war egoistisch!, oder: Er wirkte auf
mich egoistisch! Da blieb immer der kleine Ausweg der Subjektivität. Bennos
Gesichtszüge entspannten sich wieder.
»Er hat
sich als Dana Hartmannsbergers Impresario vorgestellt«, sagte ich.
»Na ja,
du weißt doch … seine Sprechweise.«
»Ja,
seine Sprechweise. Weißt du eigentlich, was die ursprüngliche Bedeutung des
Wortes ›Impresario‹ ist?«
»Ich
denke Agent, Manger oder so etwas Ähnliches.«
»Das
ist die neuzeitliche Bedeutung. Im 17. und 18. Jahrhundert verstand man
darunter einen Unternehmer, vornehmlich im Theater und Opernbereich, im Grunde
also einen Intendanten.«
»Jetzt
geht aber der Literaturdozent mit dir durch …«
An
dieser Stelle hätte ich wohl besser aufgehört. Aber der Ärger über Liebrich
hatte sich so in mir aufgestaut, dass ich einfach nicht den Mund halten konnte.
»Und
wenn schon. Er hat uns hier ›in den heiligen Hallen‹ begrüßt, als sei dies sein
Theater.«
»Wie
ich ihn kenne, hat er das sicher nicht so ernst gemeint«, antwortete Benno.
»So,
so, du kennst ihn also. Warum hast du dich eigentlich gestern mit ihm
getroffen?«
»Warum
nicht? Liebrich hat interessante
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