Goethesturm: Hendrik Wilmuts dritter Fall (German Edition)
Verflechtungen und Parteifreunde – auch
eine Art Freundschaft.
Siggi
ahnte wohl, was ich dachte. »Wir sind da dran«, sagte er. »Ich habe Kontakt mit
LKA-Kollegen in Erfurt aufgenommen, die landesweit mit einem Staatsanwalt
zusammenarbeiten, der auf Korruptionsfälle spezialisiert ist. Felder wird
observiert.«
Siggi
wusste, was er tat. Wie immer. Die Pizza war fertig und wir unterbrachen unsere
Unterhaltung, ohne sie an diesem Tag nochmals wieder aufzunehmen. Denn ein paar
Minuten später standen Sophie und Benno vor der Tür, gut gelaunt, mit
Sektflaschen in der Hand und strahlten. Mir fiel bald das Weinglas aus der
Hand. Ich wollte es kaum glauben, was ich dort sah, kniff mich in die Wange,
sah erst Hanna, dann Siggi an, biss in die Pizza, verdammt – Mund verbrannt.
Doch das war ein Zeichen, ein gutes Zeichen, ich spürte mich selbst, ich war in
mir zu Hause. Benno hatte sich mit Sophie versöhnt. Normalerweise trank ich
keinen Sekt, davon bekam ich immer Kopfschmerzen, aber heute war mir das egal.
Benno hatte beschlossen, seine OB-Kandidatur zurückzuziehen. Er blieb in Weimar
und er blieb bei Sophie. Sie hatte es geschafft. Sie oder ihre gemeinsamen
Jahre. Vielleicht auch beides. Liebrich hatte jedenfalls nicht genug Macht, um
solch ein Paar auseinanderzubringen – das war es, was mich wirklich
begeisterte. Ich schwebte mit beiden Beinen fest über der Erde.
18. Im Studierzentrum der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
Auf dem Weg ins Büro dachte ich
über den Fall Pajak nach. Nun, da ich Siggi offiziell mitgeteilt hatte, dass
ich inoffiziell mitarbeiten würde, wollte ich auch etwas dazu beitragen,
tatsächlich ermitteln. Dieser Gedanke ließ mich ungeduldig werden. Und nervös.
Einem
unterschwelligen Gefühl folgend, lenkte ich den Passat von der Humboldtstraße
kommend nicht wie üblich rechts in Richtung Wielandplatz, sondern bog links ab
in die Steubenstraße. Ich wollte den Ort, an dem Jolanta Pajak entführt wurde,
noch einmal sehen. Bei Ortsbesichtigungen kamen mir oft nützliche Gedanken. Ich
bog rechts ab in die Gropiusstraße, folgte links abbiegend der Hauptstraße und
fuhr langsam bis die Ampel rot zeigte. Damit stand ich direkt am Bühneneingang
des Theaters neben dem Hummel-Denkmal. Wo konnte der Entführer Jolanta Pajak
hingeschleppt haben? Richtung Innenstadt war definitiv zu gefährlich, zu viele
Menschen in der Fußgängerzone, selbst mitten in der Nacht. Aber gegenüber
befand sich der Wendehammer der Hoffmann-von-Fallersleben-Straße, mit dem Busbahnhof,
vom belebten Sophienstiftsplatz aus nicht befahrbar. Dort war es ruhig und
nachts wahrscheinlich relativ dunkel. Nebenan das Torhaus, ein kleines, sehr
schön restauriertes Gebäude, das der großherzoglichen Oberbaudirektor Clemens
Wenzelslaus Coudray in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts entworfen hatte. Im
Herbst 2004, ich erinnerte mich noch gut daran, kam Alma Winter nach Weimar,
eine mutige junge Frau, die es in beeindruckender Weise wiederaufgebaut hat.
Ich beschloss, die Gegend um das Torhaus und die Fallersleben-Straße in den
nächsten Tagen – oder besser Nächten – genauer zu erkunden.
Als ich
an der Bibliothek angekommen war, wusste ich, was zu tun war: Ich wollte selbst
recherchieren, statt auf das Ergebnis der lang andauernden Ermittlungen von KOK
Meininger zu warten. Namen zogen durch meinen Kopf: Adrian Pajak, Nicoletta
Berlinger, Klaus Felder, Hubertus von Wengler, Martin Feinert, Reinhardt
Liebrich, Joachim Waldmann, Dana Hartmannsberger, Karin Kirschnig – wie ging es
ihr eigentlich? – Harry Hartung, der Cognacschwenker, Franziska Appelmann, die
journalistische Offenbarung … halt, halt! So kam ich nicht weiter. Während ich
einparkte, beschloss ich, zunächst nach den neu hinzugekommenen Figuren des
Falls zu recherchieren: Adrian Pajak, Nicoletta Berlinger, Ewa Janowska und
Klaus Felder. Am liebsten hätte ich sofort angefangen, doch Albert Busche, mein
ehemaliger Kollege mit dem bewegten Rentnerleben, wartete schon ungeduldig im
Büro, um mit mir ins Tiefarchiv zu gehen. Wir kamen gut voran und gegen Mittag
verabschiedete er sich. Der Anglerverein in Apolda beanspruchte seine
Aufmerksamkeit. Ich bedankte mich und wir verabredeten uns wieder für nächsten
Donnerstag. Beim Mittagessen traf ich die stellvertretende Bibliotheksleiterin
Frau Knüpfer, sie nutzte die Gelegenheit, ein paar organisatorische Dinge mit
mir zu besprechen. Nach einer Viertelstunde wurde ich unruhig, die Recherche
wartete.
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