Götter der Nacht
nicht?«
Corenn sah ihn mit einem leichten Lächeln an. Dann lachte sie fröhlich auf. »Einverstanden«, sagte sie. »Dir geht es also um Wissen? Dann wirst du wohl bei einem anderen Lehrer eine neue magische Disziplin erlernen. Der Wind erfordert nicht viel Kraft, du musst nur deinen Geist erweitern. Das kann nicht schaden. Aber wehe, du lässt meinen Unterricht sausen«, warnte sie mit gespielter Strenge.
»Oh! Natürlich nicht!«, versicherte Yan aufrichtig. »Nie im Leben!«
»Und vor allem«, sagte sie mit Nachdruck, »darfst du deine Kräfte niemals, niemals wieder an einem Menschen ausprobieren. Der Geist ist zerbrechlich. Bowbaq kann darin lesen, schön. Du aber kannst ihn verändern. Das ist zu gefährlich, um es zu versuchen.«
Yan nickte langsam. Es war das erste Mal, dass Corenn ihm etwas verbot. Er schwor sich, ihrem Befehl zu folgen.
Eingelullt vom Gerüttel des Wagens betrachtete Lana die eintönige Landschaft, die sich um Romin erstreckte. Wie
ihre Gefährten fragte sie sich, was sie hierher geführt hatte, so weit fort von allem, was sie kannte, fort aus ihrem Alltag, ihrem Leben. Die einstige Priesterin des Großen Tempels war nun nicht mehr als eine gewöhnliche Sterbliche, die in der Fremde umherirrte, einer ungewissen Zukunft entgegen.
Zwei Monde war es erst her, da hatte sie von der Welt nur die Heilige Stadt und einen Teil des Großen Kaiserreichs gekannt. Seither war sie durch die Fürstentümer, das Schöne Land und das Alte Land gereist und würde bald sogar das berüchtigte Klamme Tal durchqueren, in Begleitung einer romischen Gauklertruppe, die der eurydischen Lehre feindselig gesinnt war.
Sie versuchte die trüben Gedanken zu verscheuchen, um nicht in Selbstmitleid zu versinken. So wichtig durfte sie sich nicht nehmen, denn das verletzte die drei Werte der weisen Göttin: Wissen, Toleranz, Frieden.
Also führte sie sich das Wohlwollen vor Augen, mit der die Göttin ihren Weg begleitete. Eurydis war es zu verdanken, dass sie den Dolchen der Züu entgangen war. Sie hatte ihr Freunde geschickt: den stolzen Grigán, Corenn, Léti, Yan, den sanftmütigen Bowbaq und nicht zuletzt Rey, den Draufgänger. Bisher hatte die Göttin sie alle vor größerem Unglück bewahrt. Und obwohl ihre Lage immer misslicher wurde, ging ihre Suche weiter, nahm Gestalt an, gewann einen Sinn. Musste man darin nicht ein Zeichen sehen? Lana war keine Theoretikerin und hütete sich davor, die göttlichen Absichten deuten zu wollen, aber in ihrem tiefsten Innern war sie zu der Überzeugung gelangt, dass Eurydis ihre Schritte lenkte und die Suche der Gefährten zu einem guten Ende führen wollte. Die Maz klammerte sich an diese Vorstellung, um nicht den Mut zu verlieren.
»Seht nur, da drüben«, sagte Rey. »Rotschweine.«
Lana erblickte eine Rotte von etwas dreißig Tieren, die im Schatten einiger Ringelbäume dösten. Über ihnen schwirrten so viele Fliegen, dass sie eine Wolke bildeten, die man selbst aus fünfzig Schritt Entfernung sehen konnte.
»Die Rominer essen doch nicht etwa das Fleisch dieser Tiere?«, fragte sie ungläubig.
»Nicht immer«, gab Rey zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. »Manchmal ist es umgekehrt. Ihr solltet jetzt besser nicht aussteigen, sie würden sofort über Euch herfallen.«
Lana starrte die wilden Schweine ängstlich an. Aber der Schauspieler konnte nicht umhin, seine Lüge noch ein bisschen auszuschmücken.
»Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass ein noch viel kleineres Rudel einen Wagenzug wie den unseren mit Mann und Maus aufgefressen hat«, sagte er. »Seht mal! Bewegen sie sich etwa?«
»Reyan, Ihr wollt mich auf den Arm nehmen!« Die Priesterin musste lachen. »Es stimmt, dass ich gläubig bin, aber leichtgläubig bin ich deshalb noch lange nicht«, fügte sie in leicht vorwurfsvollem Ton hinzu.
»Das war keine Lüge!«, behauptete Rey unbeeindruckt. »Und es wäre mir lieb, wenn Ihr mich Rey nennen würdet … Reyan klingt, als wären wir noch im vierzehnten Äon.«
»Aber es ist der Name Eures Vorfahren!«, rief Lana. »Seid Ihr nicht stolz …« Sie verbiss sich den Rest des Satzes. Womöglich hatte sie einen wunden Punkt getroffen, und in persönliche Angelegenheiten wollte sie sich nicht einmischen.
Rey verzichtete ebenfalls auf eine Antwort. Das Gespräch stockte, und sie lächelten verkrampft vor sich hin.
»Eine Frage«, sagte Rey plötzlich munter. »Wie kommt es, dass eine so hübsche Person wie Ihr nicht längst mit einem
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