Götter der Nacht
schadenfrohe Leute. Doch darin unterschieden sie sich im Grunde genommen nicht von anderen Völkern, musste sie sich eingestehen.
Die folgenden Künstler waren keine Kommödianten, sondern Akrobaten, die ein Duell simulierten. Der eine schwang zwei Säbel, der andere einen Speer, der zwar keine Spitze hatte, dafür aber mit Bändern geschmückt war, die seine weit ausholenden Bewegungen betonten. Die beiden Männer jagten einander quer durch die Zuschauermenge, wobei sie ein tollkühnes Angriffsmanöver nach dem anderen vollführten.
»Schade, dass Grigán nicht mitgekommen ist«, sagte Rey. »Vielleicht hätte er von den beiden noch etwas lernen können.«
»So gut wie Grigán sind sie lange nicht«, protestierte Léti, die seine Bemerkung ernst genommen hatte.
»Das glaube ich auch«, pflichtete Bowbaq ihr bei.
Rey widersprach nicht. Er war derselben Meinung und hatte nur einen Scherz machen wollen.
Die beiden letzten Gaukler gaben sich überaus geheimnisvoll. Der eine trug ein langes schwarzes Gewand, das mit rätselhaften Runen bestickt war, und schritt würdevoll einher, ein Buch mit goldenem Einband in der Hand. Um ihn herum hüpfte eine junge Frau, die wie ein Kobold geschminkt war und ihn unaufhörlich »hochwürdigen Meister« nannte.
Es war pfiffig, die Parade mit diesen beiden Gestalten zu beschließen und damit die Neugier der Leute noch mehr anzustacheln. Zahlreiche Schaulustige schlossen sich den Erben an und folgten den Gauklern, manche aus freien Stücken, manche im Schlepptau der Spaßmacher.
Beim Anblick des Riesen Bowbaq und der schönen Léti in ihrer kriegerischen Aufmachung fragten sich viele, ob sie nicht auch zur Truppe gehörten. Rey, dem das nicht entging, wechselte einige Worte mit den Neugierigsten unter ihnen. Jedes Mal wichen die Rominer mit furchtsamen Blicken zurück. Der Schauspieler schüttelte sich vor Lachen, weigerte sich aber, den anderen zu übersetzen, was er gesagt hatte.
Auf dem Hauptplatz der Stadt machte der Zug schließlich Halt, und die Zuschauer bildeten einen Kreis um die Gaukler, während die Zwerge und Akrobaten für Ordnung sorgten.
Wie seine Freunde wartete Yan gespannt auf den Beginn der Vorstellung. Er ahnte nicht, was ihnen bevorstand.
Der Gaukler, der die Bewacher bewachen sollte, ließ Grigán und Lana schon bald mit ihrer Aufgabe allein, um den Kissen
in seinem Wagen einen Besuch abzustatten. So waren der Krieger und die Priesterin zum ersten Mal unter sich.
Das machte Grigán nervöser, als er sich eingestehen wollte. Er glaubte so wenig mit der Maz gemeinsam zu haben, dass ihm kein Gesprächsthema einfiel, das sie beide interessieren könnte. Also blieb er seinen Gewohnheiten treu und schwieg. Gewissenhaft drehte er im Lager der Gaukler seine Runden, fuhr dabei unentwegt über seinen nicht mehr vorhandenen Schnurrbart und ließ sich schließlich mit sichtlichem Unbehagen eine Weile neben Lana nieder.
Die Priesterin war nicht minder wortkarg gewesen. Zunächst hatte sie nichts gesagt, um sein Schweigen zu respektieren. Dann hatte sie nach den richtigen Worten gesucht, um den Krieger zu ermuntern, sich die Last von der Seele zu reden, die sie längst erahnt hatte. Die Geheimnisse eines Mannes offenbaren sich nicht nur dem Schankwirt, besagte das Sprichwort. Eine Frau sieht genauso tief.
»Grigán, glaubt Ihr an einen Gott?«, fragte sie schließlich unumwunden.
Er sah sie überrascht an. Schon waren sie bei einem Thema, das er unbedingt hatte vermeiden wollen. Mit einer Maz über Religion diskutieren!
»Warum sollte ich? Glauben die Götter etwa an mich?«, gab er bitter zurück. Sofort bereute er seine Worte. Diese ungehaltene Reaktion hatte Lana nicht verdient.
»Ja, ich glaube daran, dass es Götter gibt«, fuhr er ruhiger fort. »Wie könnte ich noch daran zweifeln, nach allem, was wir gesehen haben: Usul, den Mog’lur, die Pforten des Jal’dara und das alles? Da müsste man schon mit großer Blindheit geschlagen sein.«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagte Lana. »Glaubt Ihr an einen bestimmten Gott? Betet Ihr?«
»Verzeiht, aber diese Frage ist mir etwas zu persönlich.«
Die Priesterin drang nicht weiter in ihn. Ein Verhör war das Schlimmste, was man jemandem antun konnte, dem man eigentlich dabei helfen wollte, sein Gewissen zu erleichtern. Schließlich gehörte Toleranz zu den drei Tugenden der Göttin. Wenn die Priester ihr Schweigen respektierten, erkannten die Menschen irgendwann von selbst, dass sie auch
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