Götter der Nacht
wollte, was Rey zur Aufgabe dieses Berufs veranlasst hatte. Rey machte ihm unmissverständlich klar, dass er die Geschichte für sich behalten sollte, und Cavale fügte sich, auch wenn er weiter in sich hineinkicherte. So erfuhren die Erben nie, was geschehen war. Aber sie schlossen den kleinen Lorelier sofort ins Herz.
Er war der einzige Gaukler, der mit ihnen sprach. Die anderen zeigten ihnen die kalte Schulter, was daran liegen mochte, dass sie die Erben fürchteten oder wie die meisten ihrer romischen Landsleute Fremden mit Misstrauen begegneten.
Die kleine Truppe bestand aus sechzehn Artisten. Abgesehen von Cavale ließen nur drei von ihnen erahnen, womit sie das Publikum unterhielten: ein Koloss und zwei kleinwüchsige Clowns, die nie ungeschminkt herumliefen, wie die Erben im Laufe der nächsten Tage feststellen sollten. Dann gab es noch einen Wolfsbändiger und einen Affendompteur. Ersterer besaß nur ein einziges Tier, einen alten Wolf, der so an die Menschen gewöhnt war, dass er ihn nicht einmal anbinden musste. Das Tier rührte sich nur von der Stelle, um sich einen anderen Schlafplatz zu suchen oder wie ein gewöhnlicher Straßenköter um Leckerbissen zu betteln.
Der Affendompteur, ein gewisser Tonk, der sich als grob und gemein entpuppte, besaß zwei Paar Mausäffchen. Bowbaq erkannte Spuren von Verbrennungen und Schlägen auf ihren zotteligen kleinen Körpern und blieb lange mit geballten Fäusten vor dem Käfig stehen, den Blick auf die geschundenen Tiere geheftet. Grigán zerrte seinen Freund fort, als er bemerkte, dass Tonk sie aus einiger Entfernung argwöhnisch beobachtete.
Der Anführer der Truppe war kein Geringerer als der Koloss,
ein Bär von einem Mann, der auf den Namen Nakapan hörte und Bowbaqs Muskeln neidisch musterte. Seine Frau war Feuerschluckerin, sein Sohn Akrobat und die beiden Töchter Kunstreiterinnen. Die einzigen Worte, die er an die Erben richtete, waren eine Warnung, und dabei fixierte er Rey besonders eindringlich: Man dürfe seine Töchter auf keinen Fall respektlos behandeln. Nachdem er ihnen den Rücken gekehrt hatte, schärfte Grigán dem Schauspieler die Anweisung noch einmal ein, worauf sich dieser mit geheuchelter Empörung über den Mangel an Vertrauen beschwerte, den man ihm entgegenbringe.
Die Gaukler verteilten sich auf sechs große Wagen, und so machten sich am Tag des Gerbers acht Fuhrwerke auf den Weg nach Le Pont in Lorelien. Yan, Corenn und Bowbaq nahmen im größeren Wagen Platz, und Rey durfte sich zu seiner Freude den kleineren mit Lana teilen. Grigán und Léti zogen es vor, neben der Karawane herzureiten. Der Krieger brauchte die Bewegungsfreiheit, während die junge Frau ihre Aufgabe als Beschützerin sehr ernst nahm und es ihrem Lehrmeister in allem gleichtun wollte.
Erleichtert ließen sie die Hauptstadt des Alten Landes hinter sich. Sie kamen an zerfallenen Stadtmauern vorbei, durchquerten einige Vororte und fuhren über mehrere Brücken, die über kleinere Zuflüsse der Urae führten. Schließlich wurden die Abstände zwischen den Häusern immer größer, bis sie in den ersten von Feldern umgebenen Dörfern anlangten.
Die Rominer sahen dem Zug missbilligend nach. Die Gaukler fuhren mit hoch erhobenem Kopf vorbei und gaben sich gleichgültig. Keiner von ihnen schien traurig zu sein, die heimischen Gefilde zu verlassen.
Yan hingegen dachte wehmütig an Kaul, Eza und das
Haus von Norine, in dem er und Léti aufgewachsen waren. Sie alle hatten eine Heimat. Doch die Vernunft gebot ihnen, sich immer weiter von ihr zu entfernen.
Yan erzählte Corenn von der Ohnmacht, die ihn überkommen hatte, nachdem er im Tiefen Turm versucht hatte, den Schrank mithilfe seines Willens aus dem Weg zu räumen. Die anschließende Reglosigkeit hatte ihm jede Kraft geraubt, obwohl er sich für stark genug gehalten hatte, sie aushalten zu können.
Die Ratsfrau hörte ihm aufmerksam zu und wusste sogleich eine Erklärung. »Du hattest sicherlich genug Widerstandskraft, bevor du deinen Willen entfesselt hast«, sagte sie. »Danach nicht mehr. Vergiss nicht, dass dein Geist die nötige Kraft für diesen Akt aus deinem eigenen Körper schöpft. Das musst du bedenken, wenn du einzuschätzen versuchst, ob deine Widerstandsfähigkeit groß genug ist. Du musst mit deiner Schwäche rechnen.«
Yan nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Die Magie war wirklich kein Kinderspiel, selbst für ihn nicht, obwohl er angeblich besonders begabt war.
»Ich kenne
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