Götter des Meeres
meiner unmittelbaren Umgebung geschieht, nicht verschließen. Also richte ich mich auf, wage es, mein Versteck preiszugeben.
Hinter mir taumeln Luftblasen zur Oberfläche empor - wie Perlen an einer Schnur, und ihr Ursprung ist irgendwo im zweiten Drittel des Riffs zu suchen. Das spärlicher werdende Licht bricht sich in ihnen in vielen Farben.
Ich nehme den Dreizack hoch, weil ich fühle, daß ich ihn bald brauchen werde. Eine eisige Strömung scheint vom offenen Meer her zu kommen. Mich fröstelt auf einmal.
Alles, was ich gelernt habe und zu beherzigen dachte, ist wie ausgelöscht. Aber niemand außer Aleoch wird um Learges trauern, um einen Okeazar, dem man nachsagt, daß in seinen Adern Menschenblut fließt. Bin ich deshalb so aufgeregt, weil ich beweisen muß, für welches Element ich geboren wurde?
Ein Schatten huscht über die steil abfallende Flanke des Riffs. Leider habe ich ihn zu spät bemerkt, und er verschwindet wieder, bevor ich feststellen kann, um was es sich handelt.
Ein Raubfisch?
Doch gerade die großen Räuber meiden die wachsenden Felsen mit ihren Schrunden und den vielen Verstecken, weil ihnen hier kaum eine Beute sicher ist. Ich fühle, wie mir das Unbehagen die Rückenfinnen heraufkriecht. Eine angespannte Erwartung schlägt mich in ihren Bann. Wer wird die Sepa erlegen? Wird es überhaupt einem von uns gelingen?
Da ist der Schatten wieder. Aus den Augenwinkeln heraus nehme ich ihn wahr und stelle entsetzt fest, daß er sich mir bis auf wenige Schwimmstöße genähert hat.
Den Dreizack fest umklammernd, fahre ich herum. Ein schriller Pfeifton dringt an mein Ohr. Mitten im Wurf verharre ich, kann gerade noch verhindern, daß die Waffe den Näherkommenden trifft.
Es ist Tungol, einer der fünf, die außer mir die Prüfung ablegen müssen. Wie konnte er nur so unvorsichtig sein und sein Versteck verlassen? Ich verstehe es nicht. Hat er vergessen, daß er nicht nur sich selbst damit in Gefahr bringt, sondern auch mich?
Hastig bedeutete ich ihm, wenigstens zu schweigen. Er nickt, wie die Menschen es zu tun pflegen, wenn sie Zustimmung ausdrücken, kommt aber weiter auf mich zu. In seinen Augen, seiner ganzen Haltung drückt sich Furcht aus. Mag sein, daß er des Wartens müde ist - immerhin leben wir nun schon den vierten Teil einer Gezeit von den anderen getrennt. Das sind sieben Tage, die jeden verändern, ihn reifer machen an Erfahrungen und Ausdauer. Leider zehrt diese Zeit aber auch an den Nerven. Mir geht es genauso, nur weiß ich mich zu beherrschen.
Tungol läßt sich neben mir niedersinken. Irgendwie wirkt er erschöpft und niedergeschlagen. Sie kommt nicht, bedeuteten die Gesten, die er macht. Wenigstens hat er begriffen, daß sein Pfeifen uns verraten kann.
Ich winke unwillig ab. Viel lieber wäre ich jetzt allein. Doch Tungol scheint blind für meine abweisende Haltung.
Was sollen wir tun? fragte er stumm.
Abwarten.
Wie lange noch?
Geduld ist eine Tugend, die von Reife zeugt, antworte ich umständlich. Ob Tungol versteht, was ich meine, weiß ich nicht. Sein Gesicht bleibt jedenfalls unbewegt.
Dann deutet er in die Tiefe, will, daß ich ihm folge. Eines nicht allzu fernen Tages wird ihn das Meer dafür verschlingen, dessen bin ich mir sicher. Was er vorhat, ist Frevel an der Initiation. Das Gesetz der Ahnen schreibt vor, daß wir hier zu warten haben.
Nein!
Meine Entscheidung ist endgültig.
Es wird merklich dunkler. Weit über mir sehe ich ein fahles Lichterspiel auf den Wogen, das schnell verblaßt.
Während die Sonne sich anschickt, im Meer zu versinken, steht bereits der Vollmond hoch am Firmament. Aber noch geistert sein silberner Schein nicht über die See.
Da sind sie; wie Sterne im Dunkel der Nacht tauchen sie auf: ein Schwarm von Leuchtfischen. Wie sehr habe ich sie vermißt. Mit ihnen kehrt Leben ins Riff zurück. Ich weiß, daß diese Region ein Hort der Schönheit ist, aber ich nehme all das nur unbewußt wahr.
Irgend etwas warnt mich.
Es müssen Hunderte von Fischen sein, die plötzlich auseinanderstieben und sich in alle Richtungen verlieren.
Ist da nichts? Ein dumpfes Rauschen wie von einer aufkommenden Sturmflut?
Auch Tungol scheint es zu spüren. Aber anstatt in der schützenden Nähe der Korallenbänke zu verweilen, schwimmt er los. Ich kann ihn nicht zurückhalten, will es vielleicht nicht einmal, weil ich allein sein möchte.
Wieder ist das Riff wie tot. Nun bin ich endgültig überzeugt davon, daß der Augenblick der Entscheidung gekommen
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