Götter des Meeres
so schnell, daß ich auch später nicht begreifen kann, wie ich den Mut und vor allem die Kraft finde, nun noch um mein Leben zu kämpfen. Mit dem Schwert stoße ich zu. Abermals färbt sich das Wasser dunkel. Aber ich komme nicht frei. Ich schreie, führe die Waffe wie ein Besessener, stoße zu, immer und immer wieder. Ein Tentakel schleudert mir fast das Schwert aus der Hand, zuckt jedoch zurück, als die Sägezähne ihn mehrere Handbreit tief aufschlitzen.
Das Wasser ringsum gerät in Aufruhr, beginnt zu brodeln. Ich bekomme kaum mehr Luft und stöhne unter dem schmerzhaften Schlag meines Herzens. Wieder werde ich auf das Maul der Sepa zugezerrt. Zum Greifen nahe sehe ich die tödlichen Zahnreihen vor mir…
Dauert der Kampf nur wenige Augenblicke oder gar die Zeitspanne, die man benötigt, um vom Grundlosen Wassergraben emporzutauchen? Ich weiß es nicht, werde es auch nie erfahren. Unvermittelt tritt Stille ein; nur das Blut in meinen Adern pocht wild.
Ich beginne zu begreifen, daß ich noch lebe. Schlaff treibt die Sepa neben mir, im Todeskampf ihre Tentakel ausgebreitet. Der Anblick ist erschreckend.
Trotzdem kann ich es kaum glauben. Habe ich wirklich dieses Monstrum besiegt?
Nur spärliche Helligkeit läßt mich meine nähere Umgebung erkennen. Erst nach einer Weile entdecke ich mein Schwert, das ich schon verloren wähnte. Es ist zerbrochen, beide Hälften stecken dicht unterhalb der Augen des Kraken. Wahrscheinlich hat eine davon sein Leben ausgelöscht.
Ich lasse mich bis unmittelbar neben das Teil mit dem Griffstück absinken, um es wieder an mich zu nehmen. Es ist nicht gut, schutzlos in diesen Gewässern zu schwimmen, denn hin und wieder kommt es vor, daß größere Raubfische auch einen Okeazar angreifen. Die Sägezähne sitzen fest, wirken in der zähen Haut des Kraken wie Widerhaken. Aber mit einiger Anstrengung kann ich sie lösen.
Ich, Learges, habe die Initiation bestanden. Ab jetzt kann ich mit den anderen hinausschwimmen, wenn sie Jagd machen. Ich habe aber auch, und das darf ich niemals vergessen, Verantwortung zu tragen. Wir sind nicht viele, die am Rand des Grundlosen Wassergrabens leben - insgesamt etwa 800. Ihnen gehört von diesem Tag an mein Leben.
Die Augen der Sepa sind gebrochen. Wenigstens eines von ihnen soll mir als Beweis dienen. Während ich mich abmühe, es herauszuschneiden, denke ich an die anderen, die zusammen mit mir aufbrachen. Wahrscheinlich sind sie tot. Allerdings kann ich nirgendwo ihre sterblichen Hüllen entdecken. Doch das hat nicht viel zu bedeuten. Eine der wechselnden Strömungen mag sie davongetragen haben.
Als ich das Auge endlich in Händen halte, werde ich ruhiger. Es ist hart wie Stein und gibt ein schwaches Leuchten von sich. Ich befestige es am Gürtel und wende mich dann erst anderem zu.
Alles ist mir fremd. Nicht einmal Pflanzen wachsen hier. Den Boden bedeckt eine dicke Schicht Schlick, in den ich fast bis zu den Knien einsinke.
Wie weit das Riff entfernt ist, und in welcher Richtung es liegt, weiß ich nicht. Um das herauszufinden, muß ich auftauchen. Wenn auch noch immer Nacht herrscht, so kann ich mich doch nach dem Stand der Sterne richten; Aleoch hat es mir beigebracht. Überhaupt stammt mein ganzes Wissen von ihm. Er hat mich sogar die Sprache der Menschen gelehrt und mir die Inseln gezeigt, auf denen sie leben. Irgendwie fasziniert mich ihre Welt, fordert mich geradezu heraus. Ich habe versucht, die Luft zu atmen, deren Geschmack so seltsam ist, daß man es mit Worten niemals auszudrücken vermag. Anfangs war ich zutiefst erschrocken darüber, daß meine Kiemen innerhalb weniger Herzschläge austrockneten. Ich glaubte, ersticken zu müssen. Wieder im Wasser erholte ich mich überraschend schnell und wagte kurz darauf einen zweiten Versuch. Inzwischen bereitete es mir sogar Spaß, an der Oberfläche zu schwimmen oder mich an Land zu bewegen.
Weit vor mir bemerke ich einen hellen Schimmer dicht über dem Grund. Anfangs glaube ich, daß es sich um einen Fisch handelt oder um Pflanzen, schließlich kommen mir Zweifel.
Soll ich hinschwimmen?
Ich vermag die Entfernung nicht abzuschätzen, aber es ist möglicherweise sehr weit weg.
Ein verwegener Gedanke läßt mich jäh innehalten. Ist das, was ich sehe, eine der Städte der Erben des Alten Volkes? Die Okeazar, die weit draußen im Meer und in großer Tiefe leben, behaupten jedenfalls, von Singara abzustammen.
Wir vom Grundlosen Wassergraben haben nur selten Kontakt mit ihnen. Es
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