Götterdämmerung
ihnen stolz, dass es hier kein McDonald’s gäbe, keinen Sheriff, keinen Drugstore, keinen Arzt und keine Werbung.
»Hier sind wir wirklich allein mit der Natur«, schloss er und fügte grinsend hinzu: »Und mit dem Regen. Mindestens einmal am Tag. Aber wenn ihr mich fragt, Leute, es gibt keinen schöneren Platz auf der Welt.«
Von ihrem Tisch aus sahen sie durch ein riesiges Fenster auf den Garten, der in einer Landepiste für ein zweimotoriges Privatflugzeug auslief, das zum Inn gehörte. Beatrice, die genüsslich den warmen, frisch gebratenen Lachs auf der Zunge zergehen ließ, fuhr leicht zusammen, als Neil auf einmal ausrief:
»Das gibt es doch nicht!«
»Was?«
Er deutete auf die linke Seite des Fensters. Sie folgte seinem Blick und erkannte einen Schwarzbären mit drei Jungen, der in nur etwa dreißig Meter Entfernung in aller Gemütsruhe über die Lichtung lief. Einer der Jungen schnappte nach seinem Gefährten, und die Kleinen fingen an, sich zu balgen.
»Wie süß«, sagte sie entzückt und biss sich gleich darauf auf die Zunge. Wie albern. Aber Neil machte nicht den Eindruck, als hätte ihn das gestört; er beobachtete die Bären mit der gleichen kindlichen Begeisterung.
»Lebende Teddys«, sagte er, »und entschieden attraktiver als Alligatoren.«
Die Bärenmutter richtete sich auf, bewegte den Kopf, der viel schmaler aussah, als Beatrice es erwartet hatte, und ließ sich, zufrieden mit dem, was sie sah, wieder auf alle viere nieder und trottete ihrem Nachwuchs voran über die Lichtung.
Mike schenkte Neil das empfohlene Bier nach, und Beatrice fragte, ob die Bären öfter so nahe an die Gebäude kämen.
»Die da? Das sind unsere Bären vom Alaska Tourism Marketing Council. Die kriegt doch jedes Inn zugeteilt.«
»Sie nehmen uns auf den Arm«, sagte Neil.
»Ich doch nicht. Meine Bären, ehrlich. Sieben an der Zahl insgesamt, wartet nur ab, Leute. Für Grizzlys müsst ihr schon nach Admiralty Island rüber, aber ich finde, meine Schwarzen hier sind auch nicht schlecht.«
»Zum Anbeißen«, sagte Beatrice und folgte den hopsenden Sprüngen der Kleinen mit den Augen, bis sie außer Sichtweite waren. Nach einigen Happen des köstlichen Lachs gewahrte sie aus den Augenwinkeln, dass wieder eine Bärengruppe von der anderen Seite auftauchte, diesmal eine ausgewachsene Bärin mit zwei Jungen.
»Was hab ich gesagt?«, fragte Mike selbstzufrieden. »Sind zuverlässige Viecher. Es sei denn, jemand ist darauf aus, den Darwin Award zu gewinnen.«
Neil zog eine Augenbraue hoch. »Den Darwin Award?«
»Alte Alaska-Tradition, Neil«, bestätigte Beatrice mit tiefernster Miene. »Er wird nur an Touristen verliehen, die so vorausblickend sind, unsere Art auf ihre Weise zu verbessern, indem sie ihre Gene aus dem allgemeinen menschlichen Pool auslöschen. Laut Frank ist die diesjährige Gewinnerin eine Touristin, die unbedingt ein Foto haben wollte, wie ein Bär ihr das Gesicht ableckt, und sich deswegen mit Honig eingeschmiert hat.«
Der Wirt nickte und trug die gleiche todernste Miene wie Beatrice zur Schau. »Eine würdige Siegerin. Wobei der Kerl, der mit seiner Videokamera einen Ein-Mann-Moby-Dick-Film drehen wollte und mit weißer Plaka-Farbe auf einen Wal losging, eine echte Konkurrenz war.«
»Ha. Ha. An eurer Stelle würde ich mich mit dem Verkohlen zurückhalten, ihr Nordpolbewohner. Sonst überlege ich mir noch mal, ob ich nicht ein paar Bannsprüche aus meiner Jugend loswerde.«
»Bannsprüche?«
»Meine Großtante Michelle hatte das zweite Gesicht«, sagte Neil und fiel zum ersten Mal, seit Beatrice ihn kannte, in einen deutlichen Südstaatenakzent, »und ich bin der siebte Sohn eines siebten Sohnes.«
Mike lachte und klopfte ihm auf die Schulter. »Ihr seid schon in Ordnung, ihr zwei Hübschen.«
Dann ging er weiter zu den wenigen anderen Gästen, und sie beobachteten die Bären, während sie ihren Fisch verzehrten.
»Keine Lüge«, sagte Beatrice, »auf Admiralty Island gibt es tatsächlich Orte, wo den Bären die Fische direkt ins Maul springen. Tess war mal dort und schwärmt heute noch davon.«
»Nichts wie hin.«
»Wir haben noch die Zeit, nicht wahr? Noch eine ganze Woche.«
Auf Admiralty Island waren nur zehn Menschen pro Tag erlaubt, aber der Chef der Ranger dort war ein Cousin von Mike, der bereit war anzurufen und ein gutes Wort für sie einzulegen.
In dieser Nacht ging Beatrice müde, erschöpft und glücklich ins Bett, überzeugt, in einem festen Bett schneller einschlafen
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