Götterdämmerung
Mindesten beunruhigt wirkte. Gleich zu Anfang hatte sie ihn gebeten, ihr beizubringen, wie man das Schiff steuert, damit sie ihn ab und zu entlasten konnte, aber seit die Wale da waren, ließ er sie nicht mehr ans Steuerrad. Sie musste lachen.
»Du machst einem wirklich nichts vor, wie?«
»Dir nicht«, entgegnete er, und sie begriff das Ungesagte in diesen Worten sehr wohl.
Wasserfontänen wie kleine Vulkanausbrüche. In gewisser Weise verfügten die Wale über die gleiche Ausstrahlung von Alter und Urtümlichkeit wie die Gletscher. Selbst die Kälber, die sich dicht an ihre Mütter drängten, hatten etwas Unzerstörtes. Wenn das Wasser den Blick auf die kleinen Augen freigab, bildete sich Beatrice ein, in ein Stück Ewigkeit zu blicken, das lange vor ihr da gewesen war und noch da sein würde, wenn ihre Spezies den Planeten verlassen hatte.
Anderswo führten die Wale ein alles andere als gefahrloses Leben. Ehe Neil in die Glacier Bay einlaufen durfte, mussten sie vor Gustavus vor Anker gehen und sich im Park Headquarters am Bartlett Cove anmelden. Dabei fragte sie einer der Beamten, ob sie die Bootspapiere vorweisen könnten. Beatrice nickte; erst Neils jäh verschlossene Miene erinnerte sie wieder an das Manöver mit den Handys, das er zu Beginn ihrer Reise durchgeführt hatte.
Es tat gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. »Können Sie uns ein Quartier empfehlen?«, fragte Beatrice, während der Beamte die Papiere durchsah, und hörte, sie sollten es doch einmal im Glacier Bay Country Inn versuchen, dort sei gewiss noch eine Blockhütte frei.
»Auch zwei?«, erkundigte sich Neil, und der Beamte musterte ihn verblüfft. »Na so was. Und ich dachte, Sie wären in den Flitterwochen.«
»Ein Witz«, warf Beatrice hastig ein. »Wir wollen uns nur die Füße vertreten, und eine Abwechslung vom Dosenessen wäre auch nicht schlecht.«
Weil sie nicht weiter auf die Zimmerfrage eingehen wollte, brachte sie gleich, nachdem sie die Park Ranger verlassen hatten, das Gespräch auf etwas anderes.
»Ich habe wohl deine Bücher etwas zu häufig gelesen, aber… glaubst du, er hat etwas anderes als die Papiere vergleichen wollen?«
Neil hob die Schultern. »Nein, eigentlich nicht. Wenn wir Glück haben, vermuten sie uns immer noch weit nördlich von hier. Sie müssen uns mit dem Pärchen aus Illinois verwechseln, es sei denn, sie wären uns ganz dicht auf den Fersen gewesen. Gewöhnlich vertrauen diese Leute aber mehr der Elektronik als ihren Augen.«
»Und wen meinst du mit ›sie‹? Den Sicherheitsdienst des Labors? Livion im Allgemeinen?«
Er zögerte. »Kommt darauf an, was genau ihr in eurem Labor eigentlich fabriziert. Die Sache mit dem Handy ist eigentlich zu gut für den Sicherheitsdienst eines Labors.«
»Mr. LaHaye«, sagte Beatrice mit gespielter Strenge, »lassen Sie sich gesagt sein, dass Livion auf jedem Gebiet nur die Besten beschäftigt. Das ist ein Firmenslogan.«
Es war nicht komisch. Es war alles andere als komisch. Aber sie wollte nicht ernsthaft darüber nachdenken. Sie wollte diese kurze Zeit, die sie sich jenseits von Pflicht und Existenzzweifeln gestohlen hatte, genießen.
»Es ist auch ein Slogan der Firma«, entgegnete Neil, doch Beatrice verstand die Anspielung auf die CIA nicht, und er sprach bereits wieder von den Walen, die sie heute gesehen hatten.
Die Blockhütten, in denen die Gäste des Glacier Bay Country Inn untergebracht wurden, waren von einem satten dunkelgoldenem Holzton, gegen den sich die bunten Wiesenblumen leuchtend abhoben. Beatrice atmete die Luft ein; sie kannte den würzigen Duft, der sich auf ihre Lippen legte, aber nie, niemals hatte sie früher eine solche Umgebung im Licht der Sonne betrachten können. Sie hängte ihre durch die ständige Seeluft klammen Sachen auf, während Neil die Umgebung erkundete. Es war nur noch eine Blockhütte frei; nach den Nächten in der engen Kabine gab es auch keinen Grund mehr, sich zu zieren. Doch ein Schiff war etwas anderes als ein Haus; es war eigenartig. Als sie einen Bügel für eine seiner Jacken suchte, stellte sie fest, wie sehr ihr inzwischen sein Geruch vertraut war, und er hatte doch nie mehr getan als ihre Hand zu berühren und einmal ihr Gesicht. In Gedanken spürte sie seine Finger an ihrer Wange entlanggleiten und dachte: Er hat schöne Hände. Ihr wurde bewusst, dass sie immer noch die Jacke festhielt, und sie schüttelte den Kopf.
Zu Abend aßen sie im Inn selbst; Mike, der Besitzer, erklärte
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