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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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abrutschen, aber sie täuschte sich. Nach einer Weile entdeckte sie, dass er nicht allein war; weiter oben folgten drei kleine Bärchen, die jedoch etwa fünfzig Meter über der Wasseroberfläche stockten und es offenbar nicht wagten, dem älteren Tier weiter nachzugehen. Einer von ihnen versuchte es, rutschte aus, fing sich wieder und kletterte wieder ein paar Meter zurück.
    »Dann ist das wohl die Mutter«, kommentierte Beatrice und wunderte sich, dass die Bärin sich in ihrer Gemütsruhe nicht davon stören ließ, dass ihre Jungen mit dem Abstieg nicht zurechtkamen. Ein weiteres der Bärenkinder versuchte sich am Herabklettern, bekam Angst vor der eigenen Courage und kehrte hastig wieder zu seinen Geschwistern zurück.
    »Glaubst du, einer von ihnen schafft es?«
    »Ich bin in letzter Zeit optimistisch geworden, was die Fähigkeit von Kindern betrifft, das Nest zu verlassen«, antwortete Neil doppeldeutig.
    Die kleinen Bären zeigten sich nicht willens, seinen Optimismus zu rechtfertigen, doch es machte Spaß, ihnen bei ihren tollpatschigen Versuchen zuzusehen. Als die Bärin schließlich wieder zu ihnen zurückkehrte, sagte Beatrice, übermütig geworden:
    »Und jetzt lass uns an die Eiswand heranfahren. Mal sehen, wie gut du als Steuermann wirklich bist.«
    »Das ist eine Herausforderung«, sagte Neil und manövrierte das Boot so nahe an den sich wohl fünfzig Meter fast senkrecht auftürmenden Gletscher heran, dass einer seiner unregelmäßigen Zacken einen Teil des Himmels für sie verdeckte. Aus der Nähe erkannte Beatrice, dass sich im unteren Bereich regelrechte Höhlen durch die anklatschenden Wellen gebildet hatten. Sie fragte sich, wie all die Tiere, die doch ein anderes Farbspektrum als die Menschen wahrnahmen, das Eis wohl sahen, und versuchte noch, das alte Blau zu ergründen, als ihr ein knirschendes Geräusch auffiel.
    »Neil…«, begann sie, doch er gab bereits Gas und steuerte das Boot weg vom Eis. Dem Brocken, der vom Gletscher abbrach, entkamen sie dennoch nicht; zwar stürzte er nicht auf ihr Boot, aber die Flutwelle, die hundert oder mehr Tonnen Eis auslösten, prallte gegen ihr Schiff und durchnässte Beatrice völlig. Einen Moment lang fürchtete sie sogar, das Boot würde kippen. Was sie empfand, war nicht ganz Panik, nicht ganz Resignation. Wenn ich jetzt stürbe, dachte sie. Und: Aber es gibt noch so vieles. Und: Warum nicht? Jetzt bin ich glücklich. Und: Nein, auf keinen Fall. Noch nicht jetzt! Sie spürte die Enttäuschung in der Magengrube, als ihr Vater ihr keine Erklärung geben wollte, sie spürte die Freude, als Neil ihretwegen nach Alaska gekommen war. Sie spürte die Zärtlichkeit für ihren Vater, wenn er ihr zuliebe kochte; sie spürte Ungeduld mit Neil und seinen Theorien.
    Dann traf sie das kalte Wasser wie eine Ohrfeige, und sie kehrte in den Augenblick zurück. Auch Neil, der hinter dem Steuerrad höher als sie gewesen war, war dem Schwall nicht entgangen. Beide waren sie klatschnass.
    »So viel zum Thema wasserfeste Kleidung.«
    »Sommer hin oder her«, sagte Neil, »so kannst du nicht bleiben, bei euren Temperaturen hier. Ich ankere an der nächsten möglichen Stelle, und du trocknest dich ganz schnell ab. Lass die Kabinenheizung hochfahren und schau nach, was wir noch an trockener Kleidung an Bord haben.«
    »Du aber auch«, gab sie mit einer kleinen Grimasse zurück. »Lass dir von einer Wissenschaftlerin sagen, dass deine Erkältungsgefahr so groß ist wie meine.«
    Als sie in die Kajüte ging, stellte sie fest, dass ihre Beine zitterten. Der Schwall eisigen Wassers hatte ihr doch mehr zugesetzt, oder es war schlicht und einfach Angst gewesen, die sie übermannt hatte. Rasch entledigte sie sich ihrer Jacke, der Hose, die fest an ihrer Haut klebte, und des Sweatshirts. Sie schaute auf, um nach dem Handtuch zu greifen. Neil stand am Eingang und beobachtete sie.
    Während ihrer Reise hatten sie beide unvermeidlicherweise viel voneinander gesehen, doch bisher hatte er ihr immer den Rücken zugewandt, wenn sie sich umzog, und sie hielt es genauso mit ihm. Diesmal war es anders. Er schaute nicht fort, als ihr Blick ihn traf, und sie machte keine Anstalten, das Handtuch um sich zu ziehen oder nach den trockenen Sachen zu greifen, die sie zurechtgelegt hatte.
    »Ich bin immer noch nass«, sagte sie langsam.
    »Das sehe ich.«
    Nach einem kurzen Zögern legte sie sich das Handtuch um den Nacken und entledigte sich ihrer Unterwäsche. Er kam zu ihr, nahm das Handtuch und

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