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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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begann sie abzutrocknen. Sie spürte seine Hände durch das Frottee, und ihre Haut brannte, was nichts mehr mit der rauen Oberfläche des Tuches zu tun hatte.
    »Du auch«, sagte Beatrice und stellte fest, dass ihre Kehle trocken war. »Du bist ebenfalls noch sehr nass.«
    Als sie sein Hemd berührte, forschend, fragend, legten sich seine Arme um sie, und sie dachte, dass auch dies die Entdeckung eines neuen Landes war, so sehr wie jeder andere Augenblick, seit er sie in Seward an das Licht gezogen hatte. Dann dachte sie überhaupt nichts mehr.
     
    Es war so eigenartig; Beatrice bildete sich fest ein, man müsste ihr ansehen, dass sie sich verändert hatte, und mit ihr die ganze Welt. Sie hatte das Gefühl, sich sogar anders zu bewegen. Doch Mike behandelte sie beide wie zuvor, als sie am Abend zum Country Inn zurückkehrten, und auch die Ranger der Station auf Admiralty Island am nächsten Tag ließen nichts davon erkennen, dass die Welt anders geworden war. In der Nacht hatte sie Stunden damit verbracht, sich jeden Zentimeter von Neils Körper einzuprägen, auch nachdem sie beide längst zu müde waren, um etwas anderes zu tun. Es war etwas, das sie weder während ihrer unerwiderten Teenager-Schwärmerei vor all den Jahren noch beim Betrachten von Filmen je gewusst hatte, nicht wirklich gewusst; dass sich zu verlieben bedeuten konnte, eine neue Sprache ohne Worte zu lernen.
    Sie zeichnete mit ihren Fingern die Narbe auf seiner Brust nach, und sie sprach ihr von anderen Wunden an ihm; sie legte ihre Hand in seinen Nacken und wusste, dass er schwach und stark zugleich sein konnte; sie spürte seine Hüfte auf ihrer und begriff seine jahrelange Einsamkeit.
    Ihr eigener Körper musste ihm ebenfalls Dinge erzählen, die ihr unbekannt gewesen waren, und dennoch schaute ihr die gleiche Beatrice aus dem Spiegel entgegen. Es verwirrte sie. Früher hatte sie nie Schwierigkeiten gehabt, sich auf etwas Neues zu konzentrieren, doch diesmal stellte sie fest, dass ein Teil der Erklärungen des Rangers an ihr vorbeirauschte wie das Geschrei von Wasservögeln, während sie beobachtete, wie sich Neils Profil gegen den blassgrauen Himmel abzeichnete.
    »… klar?«, schloss der Ranger, und sie nickte schuldbewusst.
    »Na schön, dann mal los.«
    Auf ihrem Weg zu den Kajaks fragte sie Neil leise, was der Mann gesagt hatte.
    »Nichts Essbares bei sich tragen und nicht näher als fünfzig Meter an Bären heran«, entgegnete er und lächelte sie an. »Den Rest habe ich vergessen.«
    Mittags, als sie mit dem Ranger auf einer Aussichtsplattform direkt neben dem Fluss saßen, hatte sie sich so weit gefangen, dass sie wieder auf ihre Umgebung achten konnte. Der hellbraune Bär mit den goldfleckigen Ohren, der aus dem Wald kam und sich unter ihre Plattform direkt neben die Leiter legte, nahm sie genug gefangen, um nicht ständig an Neils Hand zu denken, die über ihre Schultern strich.
    »Keine Sorge«, sagte der Ranger. »Der kommt hier nicht hoch. Kann aber Stunden dauern, bis er sich weitertrollt. Wenn er eben Hunger kriegt.«
    Er musterte sie argwöhnisch. »Ihr zwei habt doch wirklich nichts zu essen dabei, oder?«
    Beatrice schüttelte den Kopf. Wildtiere auf gar keinen Fall zu füttern, war ihr antrainiert worden, bevor man sie das erste Mal in der Nacht hinausgelassen hatte.
    »Weil die Viecher das nämlich sofort merken. Der einzige Bär, den wir in den letzten Jahren haben erschießen müssen, war immer wieder hinter den Rucksäcken mit Keksen her, aber an so einem Rucksack hängt bedauerlicherweise gewöhnlich noch ein Mensch dran. Auch so’n Kandidat für den Darwin Award.«
    »Ihr habt in diesem Staat wirklich eine blutrünstige Einstellung«, sagte Neil zu ihr.
    »Nur Leuten aus den unteren achtundvierzig gegenüber«, gab sie zurück. »Aber du müsstest da doch im Glashaus sitzen. Ich dachte, in den Südstaaten wird auf alles geschossen, was sich bewegt?«
    »Die Bewegung ist irrelevant«, entgegnete er und grinste. »Cousin Danny hat mal auf den Satellitenempfänger meiner Tante geschossen, weil ihm die Farbe nicht passte.«
    An jedem anderen Tag hätte ihr nach einer Weile bei allem Staunen über die Bären der Magen geknurrt. Aber heute musste sie sich erinnern, dass so etwas wie Essen überhaupt existierte. Als der Bär, nachdem er immer wieder zu ihnen hinaufgeäugt hatte, sich schließlich erhob, leicht schüttelte und aufstellte, um seinen Rücken gegen den nächsten Baumstamm zu schaben, seufzte der Ranger

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