Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
was sie erheiterte. »Da bin ich immer noch auf eigene Hackversuche und Schlussfolgerungen angewiesen.« Sie wurde ernst. »Aber was ich vermute, ist schon beunruhigend genug«, fügte sie hinzu und erzählte ihm von Mears und dem Projekt Pandora. Die Zeit der Geheimnisse, dachte sie, war vorüber.
    Für jemanden, dem wie keinem anderen der Zynismus von Politikern und Politik vertraut war, reagierte Neil erstaunlich betroffen. Die Vorstellung, dass hier über militärische Programme spekuliert wurde, die auf die Auslöschung bestimmter ethnischer Gruppen der Weltbevölkerung zielten, schockierte ihn zutiefst. Aber inzwischen vermutete sie ohnehin, dass sein so oft zur Schau getragener Zynismus im Grunde nichts als ständig enttäuschter Idealismus war.
    »Bist du dir klar darüber, was du da sagst? Über die Folgen, wenn das je Wirklichkeit werden würde?«
    Sie nickte, und er spürte, dass sich ihre Poren zu einer Gänsehaut zusammengezogen hatten. Er selbst hatte die Fäuste geballt und wünschte sich, demjenigen, der als Erstes auf die Idee gekommen war, den Hals umdrehen zu können. Nur Menschen waren dazu fähig, sich gegenseitig so brutal ausrotten zu wollen. Ganz gleich, ob Terroristen oder Regierungen, was Menschen einander antaten, war scheußlich genug, um jede andere Spezies des Planeten dem Homo Sapiens vorzuziehen.
    »Und dein Vater arbeitet da nicht mit?«
    »Garantiert nicht, und dafür brauchst du nicht sein Wort zu akzeptieren; ich habe mich schließlich in Warrens Unterlagen eingehackt. Aber Dads Projekt ist auch nicht ganz unbelastet. Weißt du, er hat schon vor der Universität Wisconsin drei Stammzellenlinien entwickelt. Aber das Problem für Livion ist, dass sie nicht unter therapeutisches Klonen von Embryonen fallen. Dabei sind die Versuche ein voller Erfolg: lebende Herzzellen und sogar bei den Nervenzellen, die für Alzheimer und Parkinson verantwortlich sind, steht Dad kurz vor dem Durchbruch. Er kann die gewonnenen Zellen gentechnisch so verändern, dass sie vom Empfängerorganismus nicht mehr als fremd wahrgenommen werden. Aber bei der momentanen Gesetzeslage kann die Firma diese Erkenntnisse nicht verwerten.«
    »Mir bricht das Herz«, kommentierte Neil sarkastisch und setzte sofort hinzu: »Entschuldige. Ich weiß, dass du das etwas anders siehst. Also zurück zu Warren Mears. Wenn du Recht hast, dann vermute ich, dass nicht nur die Firmenleitung ihn deckt. Es gibt immerhin noch ein paar Verträge innerhalb der Weltgemeinschaft, aus denen wir uns noch nicht zurückgezogen haben. Forschung an biologischen Waffen, die nicht eindeutig defensiver Natur ist - dafür wandert man ohne Rückendeckung von mindestens einer hohen staatlichen Stelle sofort in den Knast. Mears muss sich schon sehr sicher sein, dass ihm so etwas nicht geschehen kann, vor allem, wenn er, wie du sagst, sogar Rechner außerhalb eures Labors für seine Arbeit benutzt.«
    Die Möglichkeit, dass die CIA beteiligt war und etwas mit den Projekten und ihrer Abschirmung zu tun hatte, erschien ihm immer plausibler, aber er war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass er sich immer noch nur auf einem Gerüst von Vermutungen bewegte, denen er die Deutung gab, die seinen Neigungen am meisten entsprach.
    »Konkrete Beweise hast du nicht?«
    »Ich arbeite daran«, sagte sie. »Nun ja, im Augenblick natürlich nicht.«
    Er erkannte das Gefühl, das in ihren Augen emporkroch, weil es ihn selbst erfasste. Der goldene Moment außerhalb der Wirklichkeit war vorbei.
    »Wir werden zurückfahren müssen, nicht wahr?«
    Nichts mehr wünschend, als verneinen zu können, sagte er: »Ja.«
     
    Als Schlusspunkt an ihrem letzten Abend ging er mit ihr in Valdez in eine Diskothek, von der ihre Freundin Tess einmal gesprochen hatte. Neil, der heimlich befürchtete, unter lauter Teenagern zu landen, entdeckte bald, dass er sich umsonst Sorgen gemacht hatte. Die Klientel schien den Gesprächsfetzen und der Aufmachung nach zu schließen hauptsächlich aus den Leuten zu bestehen, die sich ein Boot im Hafen leisten konnten; er gehörte eher zum Altersdurchschnitt als Beatrice. Als er die ersten Takte von A Kind of Magic hörte, grinste er, sagte: »Ich wusste, dass die Götter hier irgendwann mit mir sein werden«, und führte Beatrice auf die Tanzfläche.
    Er hatte sie nicht gefragt, ob sie tanzen konnte; richtiges Tanzen war hier ohnehin nicht möglich, und sie würde es von ihm auch nicht erwarten. Doch die Sicherheit, mit der sie sich dem Rhythmus der

Weitere Kostenlose Bücher