Götterdämmerung
wuchs und wuchs, vor allem, da er nicht in der Lage war, sie auf irgendeine Weise zu erreichen. Gewiss, es konnte sein, dass Beatrice nach ihrer Rückkehr in ihren Alltag Zweifel gekommen waren, an ihm oder an sich selbst, dass sie einfach etwas Zeit allein brauchte. Nur hatte sie nach der Entdeckung durch ihre Kollegin zwar verlegen gewirkt, doch von Panik oder Reue hatte er nichts gespürt, und auf der gesamten Rückfahrt war sie alles andere als abweisend gewesen. Gleich den übernächsten Tag für ihr nächstes Treffen auszumachen, war ihr Vorschlag gewesen. Er hatte die Zwischenzeit genutzt, um alle Eindrücke niederzuschreiben, bis ihm die Augen verschwammen. Seine E-Mails allerdings hatte er immer noch nicht abgeholt.
»Ach, zum Teufel«, sagte er laut. Die Anonymität ihrer Treffen war ohnehin vorbei, und wenn es sich herausstellen sollte, dass er sich unnötig Sorgen machte, nun, er hatte schon weitaus Schlimmeres als solche Irrtümer verkraftet. Dagegen würde er sich nie verzeihen, wenn sich die Sorgen im Nachhinein als berechtigt herausstellen sollten und er die Möglichkeit, etwas zu tun, ungenutzt hatte verstreichen lassen. Er stieg in den Wagen und fuhr vor bis zum Tor des abgesperrten Bezirks. Sofort schwenkte eine Kamera auf sein Auto; zwei unformierte Sicherheitskräfte kamen aus dem kleinen Wachhäuschen heraus.
»Hören Sie, Mister, Ihr Wagen steht nicht auf der Besucherliste«, sagte der eine. »Ist Ihnen klar, dass es sich bei diesem Gelände hier um ein Naturschutzgebiet handelt, das täglich nur von einer bestimmten Anzahl von Menschen betreten werden darf? Sie müssen sich erst eine Genehmigung vom Staat Alaska besorgen.«
»Hatte keine Zeit dazu«, entgegnete Neil lässig. »Dr. Mears sagte mir, es sei eilig, als er mich anrief.«
Die Miene der Wachleute veränderte sich nicht.
»Steigen Sie bitte aus«, sagte der andere Wachposten, der noch nicht gesprochen hatte. Neil gehorchte und bereute es keine fünf Sekunden später, als ihn die Wachleute packten, umdrehten, ihn mit Gewalt gegen den Wagen drückten und ihm Handschellen anlegten. Einer von ihnen sprach in sein Funkgerät.
»Sir, ich glaube, wir haben ihn. Das muss der Mann sein.«
»Ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir. Lokale Sicherheitskräfte schlagen berühmten Journalisten zusammen«, sagte Neil. »Das gibt eine glänzende Publicity für Ihr Unternehmen.«
»Erstens hat dich hier niemand zusammengeschlagen, und zweitens kann das noch kommen, wenn du Klugscheißer nicht den Mund hältst«, knurrte der Wachmann, der ihn festhielt. Der andere Mann winkte ab.
In einem Film, dachte Neil resignierend, würde Harrison Ford an seiner Stelle die Fähigkeit besitzen, selbst mit gefesselten Händen den einen bewusstlos zu schlagen, dem anderen die Schlüssel wegzunehmen und danach in einer atemberaubenden Verfolgungsjagd mit heiler Haut zu entkommen. Doch in der Realität hatte er gegen zwei im Nahkampf ausgebildete und bewaffnete Männer nicht den Hauch einer Chance. Immerhin, vielleicht führte das Ganze wenigstens zu ein paar Antworten. Also warteten sie schweigend zu dritt.
Er rechnete damit, dass weitere Sicherheitskräfte auftauchten. Womit er nicht rechnete, waren die Statetrooper, die in kürzester Zeit in zwei Autos aus Richtung des Laborkomplexes gefahren kamen. Die lokalen Polizeikräfte genügten nicht, sondern es musste gleich der landesweite Freund und Helfer sein. Neil fragte sich, wie sich ihr Einsatz rechtfertigen ließ. Zunächst stieg ein Beamter aus, dann, aus dem hinteren Teil des Autos, zu seiner Verblüffung ein Mann, den er bisher nur von ein paar wenigen Fotos kannte. Klein, aber mit einer spürbaren Autorität; an der Reaktion aller anderen Anwesenden ließ sich ablesen, dass sie sich diesem Mann unterordneten.
»Dr. Mears, nehme ich an«, sagte Neil.
Warren Mears musterte ihn, dann wandte er sich an die Statetrooper. »Das ist der Mann. Wie ich Ihnen schon sagte, ich habe Grund zu der Annahme, dass er in Kontakt mit terroristischen Gruppen steht.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Neil die Farce mit den Handschellen einfach nicht ernst nehmen können, und alles schien auf die rituelle Version eines Hinauswurfs oder eine Nacht beim Sheriff herauszulaufen. Bei dem Wort »terroristisch« jedoch war es ihm, als schlüge ihm jemand in den Magen. Er kannte sich mit der neuen Gesetzgebung nur zu gut aus; schließlich hatte er oft genug über sie geschrieben. Wenn Mears dieses Register zog, dann konnte er Neil
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