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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wäre ist, ob du dich selbst ruinieren willst, nur auf die vage Chance hin, im Recht zu sein, aber nie Recht zu bekommen. Ist die Story das wert? Ist die Frau das wert?«
     
    »Ausweis mit Bild«, verlangte die blau uniformierte Angestellte der Fluggesellschaft hinter dem Ticketschalter, überprüfte Neils Führerschein, gab seine Daten ein und kaute auf ihrer Unterlippe, während sie auf eine Antwort des Computers wartete. Nach den ersten zwei Versuchen bei der Zwischenlandung in Chicago hatte es Matt aufgegeben, ihn zu begleiten, und sich mit einem bedauernden Schulterklopfen von ihm verabschiedet.
    »Tut mir Leid, Mr. LaHaye«, sagte die Mitarbeiterin von Delta Airlines in Boston wie all ihre Vorgängerinnen zu ihm. »Sie haben Einreiseverbot für den Staat Alaska.«
    »Ich nehme nicht an, dass Sie Hilfe in einer lebensgefährlichen Situation als Argument für eine Ausnahme sehen?«, fragte Neil so gewinnend wie möglich, doch nach allem, was geschehen war, charmant zu sein, war eine Kunst, die er offenbar nicht mehr beherrschte. Die Frau warf ihm einen eisigen Blick zu.
    »Meinen Sie, ich will gefeuert werden, weil ich jemanden in ein Flugzeug lasse, der auf der Liste steht?«
    Seine Wohnung in Cambridge empfing ihn wie ein unwillkommenes Stück längst abgelegter Vergangenheit. Mit einem Mal konnte er die knarzenden Dielenbretter, die trotzige Junggesellenhaftigkeit aller Möbel nicht mehr ertragen, und der immer noch nicht ganz verschwundene Geruch nach kaltem Rauch erweckte in ihm zum ersten Mal, seit er nach Alaska gereist war, wieder das Bedürfnis nach einer Zigarette.
    Es überraschte ihn nicht mehr weiter, von dem Juristen, der sein Büro ein Stockwerk tiefer hatte, zu hören, es habe eine ausgiebige polizeiliche Durchsuchung gegeben. Immerhin waren diesmal keine Dateien verschwunden oder Disketten entfernt worden.
    Er würde die Wohnung bald aufgeben müssen, dachte er, als er seine elektronische Post abholte und das Kündigungsschreiben las, im Stehen zuerst; selbst, sich hinzusetzen, schien ihn unnötig aufzuhalten. Er empfand nur taube Gleichgültigkeit bei dem Gedanken, der ohnehin schnell verdrängt wurde von einer immer stärker brennenden Wut und Sorge: Beatrice hatte nicht geschrieben. Eilig schickte er eine rasche Mail an sie, die umgehend wieder zurückkam; ihre Adresse hatte aufgehört zu existieren. In den Chaträumen, die sie sonst frequentierte, war sie nicht zu finden; keiner der Teilnehmer hatte seit dem Tag, als sie beide Seward verlassen hatten, mehr von ihr gehört.
    An eine Rückkehr nach Alaska war weiterhin nicht zu denken. Vergeblich versuchte er es über Internet-Buchungen oder telefonisch unter einem anderen Namen. Angesichts der neuen Sicherheitsbestimmungen verlangte noch die gelangweilteste Angestellte von ihm einen Bildausweis, sobald er am Flughafen mit seinen ferngebuchten Tickets die Kontrollen passierte. Er stand kurz davor, sich schlicht und einfach falsche Papiere zu besorgen, doch sein Verstand teilte ihm mit, dass es zu lange dauern würde, wenn diese Dokumente wirklich einer Überprüfung standhalten sollten. Außerdem warteten seine guten Freunde vom Geheimdienst vermutlich nur auf so etwas. Wenn er mit gefälschten Papieren auf einem Flug erwischt wurde, hatten sie einen echten Grund, ihn unbefristet lange festzuhalten, und damit war niemandem geholfen. Er musste handeln…
    Neil versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Zeit. Es war alles eine Zeitfrage; je mehr Zeit er Livion ließ, desto größer wurde die Gefahr, dass Beatrice etwas zustieß. Die Arbeit an seinem Buch war vergessen, das Wichtigste war ihm, Livion zu zwingen, ihm über Beatrices Verbleib Auskunft zu geben.
    Er besorgte sich ein neues Handy und ging fieberhaft auf und ab, während er sämtliche Redakteure anrief, die er kannte, nur um die Erfahrung zu machen, dass Matt sich als Prophet erwies. »Ja, wenn du Unterlagen hättest«, sagte ein alter Bekannter vom Boston Globe zu ihm. »Kopien von Untersuchungsberichten oder dergleichen. Wenn diese Frau echt war, warum hat sie dir dann nicht Dokumente besorgt? Was habt ihr in Alaska gemacht, Mittsommernachtsfeiern veranstaltet?«
    Es bei den Fernsehsendern zu versuchen, wäre sinnlos. Die A.W. Holding, zu der Livion gehörte, war überall beteiligt.
    Nein, Neil musste es anders angehen: Bei einem der wenigen Blätter, bei denen er noch nicht angerufen hatte, dem San Francisco Chronicle, bot er zähneknirschend anstatt der Geschichte mit Beatrice jene

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