Götterdämmerung
Ärger, Sorge und Empörung den Tropfen hysterischer Belustigung beimischte, war die Anklage, sich widerrechtlich in einem Naturschutzgebiet aufgehalten zu haben. Aber es hatte ja noch nicht einmal Sinn, die Polizei daraufhinzuweisen, wie ihr so genanntes Naturschutzgebiet genutzt wurde. Sie wussten es längst.
»Ich werde nicht auf das Buch warten«, sagte er abrupt. »Ich werde sofort veröffentlichen. Ist Rimkins immer noch bei der Times? Oder meinst du, die Washington Post wäre besser?«
»Neil…«
»Matt, es geht hier nicht mehr um eine Story. Die Leute sind gewarnt, wissen, dass ihnen jemand auf die Spur gekommen ist, und ich weiß immer noch nicht, was die Scheißkerle mit Beatrice anstellen. An die Öffentlichkeit zu gehen, ist vielleicht die einzige Möglichkeit, sie zu zwingen, Farbe zu bekennen.«
»Du hast mir selbst gesagt, dass du nirgendwo Unterlagen für die Existenz einer Tochter von Victor und Elaine Sanchez gefunden hast.«
»Und ich weiß jetzt, warum das so ist. Das ändert aber nichts daran, dass es sie gibt.«
»Ach wirklich? Neil, ich habe auch etwas nachgeforscht. Und nebenbei bemerkt, du hast Glück, dass du Kopien von deinen Aufzeichnungen in meiner Wohnung gelassen hast. Die Dateien auf dem Laptop, der in deinem Motelzimmer beschlagnahmt wurde, sind nämlich samt und sonders gelöscht, und ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass deine Wohnung in Boston nicht schon längst gefilzt worden ist.«
Er wartete, bis Neils vehemente Flüche sich erschöpft hatten, dann fuhr er fort: »Worauf ich hinauswill: Es gibt im ganzen Staat Alaska keine Person namens Beatrice Sanchez. Sie existiert weder im Wählerverzeichnis noch bei den Einwohnermeldeämtern. Bei nicht mal 600.000 Einwohnern lässt sich das leicht feststellen. Willst du wissen, was ich glaube? Du bist gelinkt worden.«
»Unsinn.«
»Denk nach, Neil, und versuch mal länger als drei Sekunden objektiv zu sein. Livion will ein paar Verfahren auf den Markt bringen, für die eigentlich eine Gesetzesänderung notwendig ist, und hat bereits die entsprechenden Versuchsreihen hinter sich. Da kommst du zufällig ins Spiel. Durch deine Fixierung auf Sanchez versuchst du, mehr über ihr geheimes Labor in Alaska herauszufinden. Also entwickeln sie eine Defensivstrategie, lassen dich von einer angeblichen Tochter kontaktieren, die dich neugierig machen muss, und präsentieren dir in Alaska eine Schauspielerin mit einer unglaublichen Geschichte, die für einen Verschwörungstheoretiker wie dich das reinste Göttergeschenk ist. Du bist abgelenkt, und wenn du mit dieser Story über eine Frau aus der Retorte an die Öffentlichkeit gehst, hast du dich endgültig lächerlich gemacht und deinen Ruf als Journalist ruiniert. Und dein Image sieht schon jetzt ziemlich düster aus. Hast du eigentlich meine E-Mails nicht gelesen?«
»Um die Wahrheit zu sagen, nein. Ich habe meine Post seit über zwei Wochen nicht abholen können.«
»Warum mache ich mir eigentlich die Mühe?«, fragte Matt und rollte die Augen.
»Tut mir Leid«, gab Neil zurück. »Ich weiß, du meinst es gut. Aber Beatrice ist keine Schauspielerin, und sie hat nicht gelogen. Matt, verstehst du nicht, gerade weil sie offiziell nicht existiert, ist sie in Gefahr! Livion braucht sie nur verschwinden zu lassen und zu leugnen, dass es sie je gegeben hat. Das Einzige, was sie beschützt, ist der Umstand, dass sie ihr medizinisches Wunderkind nicht verlieren wollen, und ich weiß nicht, wie lange man sich darauf noch verlassen kann. Verfügung hin, Verfügung her, sobald wir in Chicago zwischenlanden, nehme ich den nächsten Northwest-Flug zurück.«
Er verstummte, als die Stewardess ihnen Getränke brachte. Nachdem sie wieder verschwunden war, sagte Matt: »Okay, noch mal von vorne, Don Quichotte. Stell dir vor, du hast noch nie von der ganzen Angelegenheit gehört. Zwei Kerle, die du nicht kennst, tragen dir zwei Theorien vor, einer meine und einer deine. Welcher von beiden würdest du glauben? Sei ehrlich.«
»Die offensichtliche Antwort ist nicht immer die richtige.«
»Neil«, sagte Matt sehr ernst, »glaub, was du willst. Aber eines schwöre ich dir: Du wirst niemanden finden, der bei der schwachen Beweislage die Geschichte, die du mir erzählt hast, veröffentlicht und sich damit einen teuren Prozess mit Livion aufhalst, der ihn mit Sicherheit ruinieren würde. Einschließlich der New York Times, so Leid es mir tut. Die Frage, die ich mir stellen würde, wenn ich du
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