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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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gewachsenen Gestalt, der Adlernase und dem sandfarbenen Haar eine Idealbesetzung für Sherlock Holmes gewesen wäre. »Mit Werten wie ein Zwanzigjähriger, was mir bei Ihrer Lebensweise ein Rätsel ist. Und der einzige Grund, warum ich den Test für Sie durchgeführt habe, statt Sie wie jeden Normalmenschen in der Schlange warten zu lassen, ist, dass Sie meinen Sohn durch sein zweites Semester gebracht haben.«
    »Ich werde Ihre väterliche Dankbarkeit nicht zu lange beanspruchen«, sagte Neil und unterdrückte seinen Wunsch, angesichts der allgegenwärtigen Rauchverbotsschilder um eine Zigarette zu bitten.
    Wann wirst du endlich erwachsen, hatte Deirdre gefragt, an jenem Abend, als er ihren Senator während einer von ihr sorgfältig organisierten Wohltätigkeitsgala für alle Anwesenden hörbar aufgefordert hatte, doch selber einen Teil seines Etats für den Wahlkampf zu spenden. Ein provozierender Zwischenruf mitten in einer Rede, die zu schreiben Deirdre mehrere schlaflose Nächte gekostet hatte. Natürlich hatte sie Recht; es war kindisch gewesen, nichts als eine billige Revanche dafür, dass sie ihm am Abend zuvor ein Ultimatum gestellt hatte.
    Seither hatte er die Szene immer wieder umgeschrieben, sich selbst als überlegen und ironisch, Deirdre als kalt und verbissen dargestellt, doch im Grunde wusste er sehr genau, dass er es nur aus Eifersucht getan hatte. In der glücklichen Zeit ihrer Ehe hatte es ihn nie gestört, dass sie für einen Mann arbeitete, dessen Ansichten er nicht teilte, und er war stolz auf sie gewesen, wenn sie in Gesellschaft bewundert wurde. Solange er ihrer sicher war, hatte er sie im Gegenteil ständig zu engeren Kleidern und tieferen Ausschnitten zu überreden versucht; sie besaß eine fabelhafte Figur, und wenn er ehrlich war, dann hatte er den Neid in den Mienen anderer Männer einfach genossen.
    Aber mit dem beginnenden Zusammenbruch ihrer Beziehung war ihm jeder Blick auf sie verdächtig erschienen, und auch jetzt noch konnte er die Vorstellung von fremden Händen auf Deirdres Brüsten, von ihren langen, schlanken Beinen zwischen denen eines anderen Mannes kaum ertragen. Es war kindisch. Wenn überhaupt, dann hatte sie ihn mit ihrem Beruf betrogen, durch ihre Arbeit ersetzt. Sollte sie doch mit ihren umfrageergebnisgerechten Ansichten ins Bett gehen, die sie denen ihres Senators angepasst hatte.
    Hör auf, befahl sich Neil. Es ist vorbei.
    »Ich habe nur noch ein paar Fragen«, fuhr er fort und zwang sich in die Gegenwart zurück. »Dann sind Sie mich los.«
    »Leere Versprechungen«, konterte Giles und nahm seine Brille ab, um die Gläser zu putzen. »Ich wette, in zwei, drei Wochen sind Sie wieder da. Aber schön, ein letztes Mal.«
    »Das menschliche Erbgut und das Erbmaterial von irgendwelchen Viren ist zu vierzig, fünfzig Prozent vergleichbar, habe ich gelesen…«
    »Also, die Zahl würde ich mal bezweifeln, aber es würde mich auch nicht wundern, wenn sie sehr hoch wäre. Sehen Sie, der größere Teil unserer Erbanlagen ist Schrott. Fossile, die nichts nützen und im Laufe der Evolution übrig geblieben sind.«
    »Hm. Ich dachte nur, in meiner laienhaften Art, das könnte erklären, warum wir so anfällig für bestimmte Viren sind.«
    »Wenn Sie an HIV-I denken, wir sind dafür anfällig, weil es unsere T4-Helferzellen angreift, und ohne die können wir keine Antikörper bilden. Manchmal ist die einfachste Erklärung auch die richtige.«
    Neil stand auf und wanderte zu den Regalen voller Lexika und Zeitschriften. Auf Augenhöhe stand ein Foto von Giles’ Sohn und Ehefrau.
    »Will man das Virus töten, muss man auch die menschliche Zelle zerstören, in der es sitzt. Normalerweise leiten verbrauchte oder geschädigte Zellen die eigene Zerstörung ein. Das Signal für den programmierten Zelltod bekommt die Zelle vom Immunsystem, das die Infektionen auf diese Weise in Schach hält. Bestimmte Viren haben nun gelernt, den Selbstmord ihrer Wirte zu verhindern. Sie schreiben den Code um, verstehen Sie, Neil?«
    »So in etwa. Und die derzeit eingesetzten Medikamente…«
    »Verhindern ihrerseits die letztliche Umschreibung einer ganzen Reihe von HIV-Proteinen durch ein Enzym. Um ein Bild zu gebrauchen, stellen Sie sich einen Querbolzen vor, den man zwischen die Rädchen wirft. Für eine Weile hemmt er, aber wenn die Räder zu stark sind, zermalmen sie ihn. Wenn der Querbolzen allerdings stark genug und richtig platziert ist… aber da liegt das Problem für uns.«
    »Ich habe mir

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